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Soko Mosel

Soko Mosel

Titel: Soko Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Obwohl die Maisonne schon kräftig wärmte, hatte er dem Kranken eine Decke über die Beine gelegt.
    Es war schon fast ein Jahr her, dass Lorenz ihn zufällig besuchte und mehr tot als lebendig im Park fand. Seit dem schweren Schlaganfall war Wieckmann halbseitig gelähmt und litt zeitweise an geistigen Ausfallerscheinungen. Er war schwerst pflegebedürfig und würde es wohl bis ans Ende seiner Tage bleiben. Am Anfang hatte Lorenz nur sporadisch den Garten gepflegt. Nach Isabelles Tod war er hierher gezogen. In seiner alten Wohnung war Lorenz schon seit Monaten nicht mehr gewesen.
    »Hast du den Flieder geschnitten?«, Wieckmann zeigte nach unten.
    »Hier stehen mindestens ein Dutzend Fliederbüsche, die sind alle längst heruntergeschnitten.«
    Diese Frage hatte der Mann im Rollstuhl erst letzte Woche gestellt. Wieckmanns Kurzzeitgedächtnis funktionierte nicht mehr. Woran er sich gut erinnern konnte, waren Dinge, die weit, oft sogar Jahrzehnte, zurücklagen.
    »Bald kommen die Schmetterlinge«, murmelte er.
    Dann werde ich wohl nicht mehr hier sein, dachte Lorenz, schenkte Kaffee nach und deutete auf den Kuchen.
    Wieckmann lehnte ab: »Lass dich nicht aufhalten.«
    Lorenz trug das Tablett ins Haus und nahm einen Gartenrechen. Seine Prellungen machten sich nur noch bei schweren Arbeiten bemerkbar. Als er die Wege gesäubert hatte, setzte er sich wieder zu Wieckmann: »Soll ich was zu essen machen?«
    »Ich hab keinen Hunger.«
    Wieckmann starrte ins Wasser. Lorenz wusste nicht, was in ihm vorging. Dachte er nach, schaute er den Fischen zu, oder war sein Kopf in diesem Zustand so leer wie sein Blick? In dieser Haltung fand er ihn meist auch im Heim vor. So saß er im Aufenthaltsraum oder in seinem Zimmer am Fenster. Er las nicht mehr, schaute nicht fern, machte aber keineswegs den Eindruck, dass er sich langweilte. Er wirkte so ruhig wie ein buddhistischer Mönch während der Meditation.
    »Würdest du das Thema deiner Doktorarbeit heute nochmals wählen?«, Lorenz’ Frage brachte Leben in Wieckmanns Augen.
    »Ich hatte ein Stipendium in Heidelberg. Das war eine schöne Zeit. Nachher habe ich ja sogar noch beim Bund an diesem Thema arbeiten dürfen.«
    »Um was ging es?«
    »Eigentlich um Schmerzpatienten, um die Erforschung von schmerzlindernden …«, er suchte nach dem Wort.
    »Mitteln«, half Lorenz aus.
    Wieckmann nickte: »Medikamenten.«
    »Und beim Bund?«
    »Da ging es mehr um sedierende und enthemmende Wirkungen.«
    »Von was?«
    »Wir haben mit verschiedenen Stoffen experimentiert. Eine breite Skala von Morphium bis Stechapfel.«
    »Und das war legal?«, fragte Lorenz.
    »Es war kalter Krieg. Biologische, chemische und atomare Kampfstoffe waren ja wohl viel bedrohlicher.«
    »Und an wem habt Ihr die Wirkung ausprobiert?«
    »Hauptsächlich im Tierversuch, nur wenige Studien wurden an Menschen durchgeführt.«
    »Was für Leute waren das?«
    »Freiwillige, teils die …«
    »Die Wissenschaftler«, ergänzte Lorenz.
    »Die Forscher im Selbstversuch«, fuhr Wieckmann fort.
    »Und wie wurden die Drogen verabreicht?«
    »Oral, intramuskulär, intravenös, per Zäpfchen …«
    Wieckmann brach ab, er war wieder in die Betrachtung seines Lebenswerkes versunken.
    »Wurden die Drogen auch geraucht?«, wollte Lorenz wissen.
    »Das wäre bei Opiaten und Cannabis möglich gewesen.«
    »Und Heroin?«
    »Nein, das wurde nicht geraucht, da waren später die Amerikaner mit ihrem Crack phantasievoller. Nein, es ging ja um die Erforschung von Mitteln, die in bestimmten Situationen angewendet werden sollten. Da, wo viel Mut erforderlich ist und die Soldaten voll gefordert werden.«
    »Himmelfahrtkommandos?«
    »Ja, auch, aber nicht nur. Und in Situationen, wo …«
    »Ruhe«, komplettierte Lorenz.
    »… Disziplin bewahrt werden muss.«
    »Nach einem Atomangriff im engen Bunker mit der Aussicht auf ein paar Jahre unter Tage?«
    Wieckmann stützte den Kopf auf die linke Hand. Seine Lider sanken nach unten: »Da ist Strychnin die beste Lösung, das würde mir auch helfen …«, sein Kopf sank langsam auf die Brust.
    *
    An der Haltestelle vor der holländischen Grenze stiegen Schulkinder in den Bus. Der Inhalt ihrer Ranzen klapperte, als sie durch den Gang an ihm vorbei stürmten. Lorenz hörte holländische Wortfetzen.
    Von Vaals fuhr er weiter nach Heerlen und von dort mit dem Zug über Amsterdam nach Noordwijk. Es war bereits dunkel, als er dort ankam. Ein kalter Wind wehte vom Meer. Die Ferien waren noch nicht zu Ende, erst
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