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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah
Autoren: Marleen Reichenberg
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derzeitigen Freund meiner
Freundin, während ich die Parkgarage betrat.
    »Also bitte,
von dauernd zurückstecken kann nicht die Rede sein. Lisa, er hängt an dir. Aber
du solltest versuchen, dich auch in ihn hineinzuversetzen.  Er hat als Assistenzarzt
nun mal einen anstrengenden Beruf, der….«
    Entnervt fiel
sie mir ins Wort.
    »Hör bitte
auf mit deinem Psychologengeschwafel, ich bin keine deiner Patientinnen. Ich
weiß selber, dass er exzessiv arbeitet. Das Thema haben wir schon viel zu oft
durchgekaut. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob vielleicht du und Paul Lust
hätten, uns die Karten abzunehmen? Sie kosten euch keinen Cent, ich habe sie
über die Agentur geschenkt bekommen.«
    Jetzt war es
an mir, unhörbar zu seufzen. Im Gegensatz zu mir war mein Freund Paul absolut
kein Freund von Theater, Oper oder Konzert, überhaupt von Musik aller Art. Er
hielt es für pure Zeitverschwendung, ein paar Stunden lang fiktive Geschichten
oder Melodien oder gar beides gleichzeitig über sich ergehen zu lassen. "Kasperletheater
für Erwachsene" hieß das bei ihm. Dafür stand er auf Actionfilme. Je mehr
Action, desto besser. Auf die wiederum war ich nicht allzu wild. Meiner unausgesprochenen
Ansicht nach hatten Filme dieses Genres noch wesentlich mehr mit Puppentheater
gemeinsam: Der Gute, Bond oder ein anderer, gab den Kasper, während die Bösen
die Räuberbande und das Krokodil darstellten und die Guten siegten immer. Aber
um des lieben Friedens willen saß ich meine Zeit dort pflichtschuldig ab. Ich
würde ihn bei unserer unvermeidlichen Diskussion wegen des Opernbesuchs darauf
hinweisen, dass ich ihm zuliebe zwei Wochen zuvor stundenlang im neuen
Bond-Film "Skyfall" ausgeharrt hatte. Vielleicht stimmte ihn dies ja
milde und er ließe sich überreden. Außer alten amerikanischen Spielfilmen
liebte ich Opern, Operetten und Musicals über alles, war noch nie bei einer
Premiere dabei gewesen und beschloss, das Risiko, Paul zu verärgern,
einzugehen.
    »Okay, ich
nehme dir die Karten ab. Passt es, wenn ich um acht schnell bei dir klingele?«
    Lisa und ich
hatten unsere Wohnungen im gleichen Apartmenthaus in der Nähe von Schloss
Nymphenburg.
    »Klar, komm
vorbei.«  
    Sarkastisch
setzte sie hinzu:
    »Ich habe
heute sowieso nichts mehr vor. Simon wird vermutlich erst dann kommen, wenn ich
schon lange im Tiefschlaf liege. Wenn er nicht zu kaputt ist und in seinem
Zimmer im Wohnheim übernachtet. Lange mache ich das nicht mehr mit!«
    So wie sie
klang, saß der arme Simon bereits auf dem Schleudersitz, kurz davor, von Lisa
gnadenlos als Lover abserviert zu werden. Aus langjähriger Erfahrung wusste
ich, dass Lisa in der Hinsicht alles andere als zimperlich war. Sie hatte auch
keinerlei Probleme, schnell Ersatz zu finden. Im Gegensatz zu mir. Ich brauchte
lange, um zu einem anderen Menschen Vertrauen zu fassen und ihn an meinem Leben
teilhaben zu lassen. Und es fiel mir sehr schwer, mich von etwas zu trennen, ob
das nun Lebewesen oder Dinge waren.
    Nachdenklich
steckte ich das Handy in meine Umhängetasche und zückte meinen Autoschlüssel.
Ich stand direkt vor einem rassigen schwarzen Porsche. Meinem Porsche. Obwohl
ich ihn schon seit zwei Jahren besaß, machte mein Herz immer noch einen kleinen
freudigen Satz, wenn ich ihn irgendwo stehen sah und auf ihn zu lief. Ich hing
- völlig atypisch für eine Frau - an diesem Wagen, liebte das satte Röhren des
Motors beim Anlassen, genoss es, damit zu fahren, die PS unter der Motorhaube
zu fühlen, wenn ich beschleunigte und die teilweise anerkennenden oder
neidischen Blicke der anderen Autofahrer im Stadtverkehr an den roten Ampeln zu
bemerken.
    Zu dem Auto
war ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind: Ich hatte es von einem Patienten
geerbt.
    Manfred war
ein neunundvierzigjähriger, unheilbar krebskranker Junggeselle ohne Familie
gewesen, den ich die letzten Monate seines Lebens in einem Hospiz psychologisch
begleitet hatte. Aus der beruflichen Beziehung war innerhalb kurzer Zeit eine
innige Freundschaft entstanden. Ich bewunderte seine Tapferkeit und
Gelassenheit angesichts des nahenden Todes zutiefst und für ihn war ich in den letzten
Wochen seines Lebens die Tochter geworden, die er sich immer gewünscht hatte.
Und so vermachte er mir völlig unverhofft seinen nagelneuen Sportwagen, den er
sich trotz oder gerade wegen der ihm wenigen verbleibenden Zeit noch zugelegt
hatte. Ich erhielt von ihm außerdem eine Geldsumme, mit der ich imstande war,
die Unterhalts- und
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