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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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leidet sein Leben lang.Was sind dagegen drei Stunden am Kreuz? Und dann hat man dem auch noch in die Seite gestochen, damit er seinen eigenen Betäubungssaft produzieren konnte. Ja, mein Gott, das muss man doch mal sagen dürfen, verdammt!
    Aber es lohnt sich nicht, große Töne zu spucken und über Gott und Jesus herzuziehen. Dass es dich gibt, Gott, dass es ein göttliches Prinzip gibt, das glaube ich schon. Trotzdem will ich im Moment in Ruhe gelassen werden, will wegkommen von diesem christlichen Schmier, den man mir beigebracht hat. Von diesem Dreck. Das ist nix. Das hat nichts mit dem göttlichen Prinzip zu tun. Ich habe auch keine Lust, mich stattdessen mit irgendwelchen Buddhisten oder Hinduisten um Shiva und Kali und wie sie alle heißen zu kümmern, frühmorgens mit dem Reistopf durch die Gegend zu rennen und irgendwo Reis reinzustopfen, damit der Tag vielleicht etwas schöner wird und die Cholera nicht so nah ans Haus kommt. Das ist auch alles Quatsch.
    Gott bewahre, dass ich dir eins in die Fresse schlage. Du glaubst wohl, dass du mir mit alldem einen Weg beschreibst. Du beschreibst mir einen Weg, das ist schon klar, aber der Weg hätte ruhig anders verlaufen können, etwas heiliger und berufener, so wie ich mir das in meiner Kitschnudelfabrik vorgestellt habe, weil ich die Kacke so gelernt habe. Ich glaube, dein größtesVersäumnis ist dein Vertriebsnetz. Du hast nicht versagt bei meiner Krankheit oder bei anderen Krankheiten, oder bei all den Missständen auf der Welt, du hast versagt in dem Vertrieb deiner Ideen. Da hast du so etwas von versagt. Da hast du die letzten Deppen rangelassen, die allerletzten Oberfressen, die Möchtegerns und Schwätzer und was weiß ich wen. Alte Gesellen, die nicht ficken dürfen. Pädophile Kappen, die den Afrikanern verbieten, Präser zu benutzen. Das ist dein Vertriebssystem. Da bin ich drauf reingefallen. Meine Eltern auch. Und manchmal war es ja auch toll, das ganze Brimborium. Da fühlte man sich berufen, da war man plötzlich eins mit allem. Zum Kotzen! Jetzt lieg ich in der Trommel, in meinem Kopf sind schon irgendwelche Hostien verteilt, und ich denke noch:Wo ist denn jetzt Jesus? Hallo? Gott, was machen wir denn nun? Werde ich bestraft für die Scheiße, die man mir beigebracht hat? Dafür, dass ich auch einer von diesen Vertriebsarschlöchern war, mich nie um die Bibel gekümmert habe, immer nur auf die Bilder gesetzt habe?

    Es ist schon ein unglaublicher Dreck, der jetzt aus meinen Poren, aus meinem Hirn, aus meiner Nase rauskommt. Aber er riecht gut und duftet sogar in gewisser Weise besser als all der Weihrauch und all der rote Tand. Ich predige jetzt einfach:Werft die Hostien auf den Müll, es lohnt sich nicht. Und warte auf den Tag, an dem ich dann daliege und flehe: Gott, verzeih mir, was habe ich getan.
    Aber ich bin momentan realistischer als früher, weil ich einfach euer Vertriebsnetz, eure Art der Mitteilung, eure Versuche, andere zu beeinflussen, durchschaue. Das ist so mies und so dreckig und so billig. Das ist nicht einmal bauernschlau, das ist einfach nur dämlich. Und die Leute, die auf euch eingestiegen sind und wahrscheinlich tatsächlich etwas bewirkt haben, werden als Knöchelchen feilgeboten. Die Heiligen werden als gebetsmühlenartige Beschwörungsformeln verkauft, denen man begegnen soll, damit der Schlüsselbund wiedergefunden wird, man einen halben Mantel geschenkt bekommt oder die Gräte aus dem Hals rutscht, oder irgend so einen Quatsch. Ihr habt zugelassen, dass die Leute, die wirklich etwas getan haben, auf Miniformat geschrumpft wurden. Und selbst ich habe mich berufen gefühlt. Dachte, okay, ich trete den Leidensweg an, aber ich tu noch was Gutes.Wenn ihr wirklich was wollt, dann setzt mal auf mich, ich werde eure Sache schon richtig vertreiben. Ich verspreche es euch, das wird was, habe ich behauptet.
    Jetzt ist der Draht gerissen, diese Hoffnung, dass noch was kommt. Abraham zieht mit einer 76-jährigen Tusse durch die Gegend und kriegt zig Kinder versprochen. Und noch ein Land und wieder nix, und noch ein Land und wieder nix. Dann musste er auch noch mit Isaac und der Axt losziehen, bis endlich jemand daherkommt und sagt: Momentchen, das ist aber nicht so gemeint gewesen. Trotzdem danke für das Angebot, ich sehe nun, wie ernst du’s meinst.

    Verpisst euch, lasst mich allein, ich fliege gerade.
     
    Ja, Herrgott, das ist doch nicht zu fassen. Ist das die Predigt, die gehalten werden soll? Ihr müsst nur hören, ihr müsst
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