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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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in dem sich Staaten selbst auflösen oder etwa
     ihre Vorrechte abgeben würden. Der Nationalstaat ist als primäre politische Einheit des internationalen Systems quicklebendig«,
     befindet John C.   Hulsman von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. 118 Aber besser, die Zukunft kommt aus solchen vitalen Gemeinschaften als aus den Büros von E U-Beamten .
     
    Allmählich scheint es, als würden auch manchem Gestalter in Brüssel die Grenzen des Wachstums der Europäischen Union bewusst.
     »Die EU muss sich beschränken«, fordert als einer der wenigen Europaabgeordneten aus der politischen Mitte der CD U-Mann Hartmut Nassauer. »Brüssel geht den Menschen zunehmend auf die Nerven.« Es bedürfe einer neuen »Kultur der Subsidiarität«,
     die die Zuständigkeiten der Nationen strikt respektiere. Subsidiarität oder das »Vorrecht der kleineren Gemeinschaft« ist
     auch im Zeitalter der Globalisierung kein verstaubter Gedanke, sondern ein urdemokratisches Prinzip. Die ursprüngliche Idee
     stammt übrigens aus der katholischen Soziallehre, von dem Jesuitund Gesellschaftswissenschaftler Oswald von Nell-Breuning. Nur dort, so lehrte er, wo die kleinere Gemeinschaft überfordert
     ist und ihre Mittel und Regelungsmacht nicht ausreicht, nur dort soll die nächsthöhere Instanz subsidiär, also hilfsweise
     eingreifen. Alles andere könnte Unfrieden stiften, weil es den Einzelnen nicht angemessen achtet. »Diametral zur ursprünglichen
     Intention versteht man in Brüssel unter Subsidiarität heute meist: Wenn Brüssel Geld gibt, kann das fragliche Problem besser
     auf E U-Ebene gelöst werden. Und nur allzu gerne gibt Brüssel deshalb Geld«, schrieb Anfang 2010 der ehemalige E U-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein. 119
    Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, müssen nationale Politiker stärker bereit werden, sich auch einmal Ärger mit Brüssel
     einzuhandeln. »Wir brauchen eine Zuspitzung der inhaltlichen Auseinandersetzungen«, fordert die grüne Europaabgeordnete Franziska
     Brantner. »Subsidiarität kann sich nicht in einer Debatte über Zuständigkeiten erschöpfen, Subsidiarität ist auch die Verpflichtung,
     die Auswirkungen von Politik auf jede andere Ebene mitzudenken und zu beachten.« Kleine Länder wie Dänemark, Irland, die Niederlande
     oder die Baltenstaaten schaffen das heute schon wesentlich besser als Deutschland. Europathemen sind dort nationale Themen
     und werden ohne Bandagen geboxt. Der Bundestag hingegen, erklärt der Grüne Rainder Steenblock, der lange im Europaauschuss
     gearbeitet hat, mische sich noch viel zu wenig in Brüsseler Entscheidungen ein. Er winke die meisten Vorlagen einfach durch,
     weil er sich als Teil einer »Exekutivdemokratie« fühle. Grundsatzdebatten über europäische Themen gäbe es viel zu wenige. 120
    Dieser fehlende Widerstandswille wiegt umso schwerer, als Brüssels Administratoren umgekehrt eine mentale Supermacht bilden.
     Sie sind das Produkt einer sich stetig verstärkenden »Selbstselektion«: Ein ›Euromantiker‹ ist eher geneigt, sich bei der
     Kommission zu bewerben, als ein ›Euroskeptiker‹, weil natürlich jeder am liebsten das betreibt, was ihm gefällt. 121 Diese Corporate Identity wiegt schwer, aber umso entschlossener und ohne Komplexe müssen sich die Nationalstaaten notfalls
     gegen sie stemmen.
     
    Am 14.   Dezember 2009 setzte sich der Europaparlamentarier Manfred Weber an seinen Schreibtisch im bayerischen Wildenbergund setzte zu einem denkwürdigen Brief an. In die Adresszeile setzte er das Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe, Herrn Vizepräsident,
     Prof. Dr.   Andreas Voßkuhle. Weber, Jahrgang 1972, wollte Voßkuhle seine Meinung zum Lissabon-Urteil des Gerichtes mitteilen. »Das alte
     System der machtvollen Exekutiven, das System der Brüsseler Hinterzimmer«, gestand er dem Richter zunächst ein, »hat zur Entfremdung
     der Bürger von Europa geführt.« Doch aus diesem vergangenen Systemfehler, so tippte Weber weiter, dürfe nicht geschlossen
     werden, dass die Idee Europas gescheitert sei. Um Voßkuhle seinen Punkt klarzumachen, drückte Weber die Fett-schreiben-Taste:
     »Jedes System muss das Recht haben, seine Ausformung zu suchen und diese weiter zu entwickeln. Das gilt heute auch für das
     System der Europäischen Union.« Wer, wie Voßkuhle, als Verfassungsrichter das bundesdeutsche Modell der parlamentarischen
     Demokratie als alleiniges Vorbild für die Bewertung der EU gelten lassen wolle, verbaue
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