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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern
Autoren: Kate Allatt
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Mark entsetzt zusammenzuckten. Er stand in unserer Küche, betrachtete das Foto mit Mark und mir und den Kindern beim Surfen in Cornwall und sagte: »Wie ich Kate kenne, ist sie in Nullkommanichts wieder auf den Beinen. In einem Jahr werden wir uns fragen, weshalb wir uns so aufgeregt haben.«
    Bills Einschätzung wurde von anderen Dorfbewohnern aufgegriffen, die nur die alte Kate kannten und nicht wussten, welch verheerende Wirkung der Schlaganfall für mich gehabt hatte. Wenn Bill mich zu diesem Zeitpunkt gesehen hätte, gerade einmal zwei Punkte entfernt vom Ende auf der von 0 bis 10 zählenden Todesskala, ohne auch nur das geringste Anzeichen von Bewegung, dann hätte er sich für seine Bemerkung furchtbar schämen müssen. So aber war ein Jahr ins Land gegangen, und er hatte recht behalten.
    Mir war bewusst, dass Alison eine ganz entscheidende Rolle bei meiner Genesung gespielt hatte. Ohne jede medizinische Vorkenntnisse, außer denen aus einem fünfundvierzig Jahre alten Erste-Hilfe-Pfadfinder-Heftchen, schenkte sie mir etwas, das mir kein Mediziner bieten konnte – emotionale Zuwendung, Liebe und Unterstützung. Sie bemitleidete mich nie. Sie redete nie von oben herab auf mich ein, selbst wenn andere es taten, besonders wenn ich im Rollstuhl saß. Sie verbarg ihre eigenen Gefühle, vor allem als ihr Vater starb. So konnte sie mir immer ihre strahlende Miene präsentieren, wenn sie mich besuchte. Sie war mein Verzweiflungsschrei, wenn ich Schmerzen hatte. Sie richtete mich auf, wenn ich deprimiert war, sie war meine ungezogene Komplizin, wenn ich jemanden ärgern wollte. Sie unverblümt fragen zu hören: Warum bist du denn so launisch?«, während alle anderen auf Zehenspitzen um meine Gefühle herumschlichen, reichte schon, um meine Stimmung zu heben. Kurz gesagt, sie war mein Engel in Kitten-Heel-Schuhen von Kurt Geiger. Ich bin der festen Überzeugung, Freundinnen wie Alison sollten geklont und innerhalb des Nationalen Gesundheitsdienstes allen Schlaganfall-Patienten verordnet werden. Ich habe seitdem von vielen anderen gehört, die weit weniger schwere Schlaganfälle hatten als ich und dennoch Jahre brauchten, um sich zu erholen. Ich bin ganz sicher, dass ich mein Leben Alison und ihrer Mitstreiterin Anita verdanke.
    Auch Mark war meine Rettung. Falls ich vor meinem Schlaganfall unsere Beziehung jemals infrage gestellt haben sollte, dann wurde sie in den Monaten danach in Stein gemeißelt. Er tat jederzeit das, was er für mich und die Familie für das Beste hielt. Vielleicht schien es zu jenem Zeitpunkt nicht immer die richtige Entscheidung zu sein, und ganz gewiss hat er mich manchmal in den Wahnsinn getrieben. Wir waren häufig unterschiedlicher Meinung, doch der Ärger, den er bei mir auslöste, feuerte mich letztlich unbewusst nur an und forderte mich zum Kampf heraus, und das war mehr als jede positive Bestätigung.
    Überhaupt kein Zweifel besteht daran, dass Mark mir am Sonntag, dem 7. Februar 2010, um 18.09 Uhr das Leben rettete und dass er mich aus der Hölle befreite, die Locked-in-Syndrom heißt. Entscheidend aber ist, dass er mich vor der negativen Prognose schützte, die die Ärzte ihm gegenüber die ganze Zeit aufrechterhielten, und dass er trotzdem an mich glaubte.
    Nach genauem Nachdenken sind dies die zehn Gründe, weshalb ich das Locked-in-Syndrom besiegt habe:

    1. meine Fitness;
    2. mein Mann, die Kinder und meine Mutter;
    3. meine besten Freundinnen, Alison und die anderen Mütter, Anita, Jaqui und das Netzwerk der Unterstützerinnen, die mich regelmäßig zusammen mit meiner Mutter besuchten;
    4. meine Sturheit, die ein »Ich kann es nicht« als Antwort einfach nicht zuließ;
    5. die Konzentration darauf, meinen Gliedmaßen den Befehl zu geben, sich zu bewegen, indem ich sie anstarrte und dachte: Bewegt euch endlich, ihr verfluchten Dinger!;
    6. meine disziplinierte Therapie sowohl mit den Therapeuten als auch später alleine;
    7. dass ich mir Zeitrahmen und Ziele setzte;
    8. meine Bereitschaft, Haftungsausschlüsse zu unterschreiben und mich ärztlichem Rat zu widersetzen, um meinem Bauchgefühl zu folgen;
    9. dass ich meine vollständige Prognose nie erfuhr;
    10. Lachen und die Art und Weise, wie Mark und meine Freundinnen sich über mich lustig machten, statt mich zu bedauern.

Die glücklichsten Menschen haben nicht das Beste von allem, sie machen nur das Beste aus allem, was sie haben.
Kate Allatt, Facebook, 2010

    Ich behaupte nicht von mir, Expertin in Sachen Schlaganfall zu
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