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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern
Autoren: Kate Allatt
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abzurunden, zündete Mark den Kamin an, und während der Schnee im Garten zu schmelzen begann, saßen wir um das Feuer herum, spielten Gesellschaftsspiele und kuschelten miteinander in der Hitze der Flammen.
    Das Weihnachtsessen weckte weitere Emotionen in mir. Braten war mein Lieblingsgericht, es war die erste normale Speise, die ich nach der Entfernung der PEG gegessen hatte, und als Weihnachtsfestessen war es jetzt das Allergrößte. Nachdem ich mich an dem Putenstück verschluckt hatte, passte ich nun besonders gut auf, den Kopf nach vorne zu neigen und langsam zu essen, ohne dabei zu reden, was mir alles andere als leichtfiel.
    Während der erste Weihnachtstag dazu diente, als Familie eng zusammenzurücken, die Ruhe zu genießen und uns an der Gesellschaft der anderen zu erfreuen, war der zweite Weihnachtstag Tag der offenen Tür. Von morgens bis spät abends meldeten sich Freunde und Nachbarn, um gemeinsam etwas zu trinken und zu schwatzen.
    Sowohl am ersten als auch am zweiten Weihnachtstag ermüdete ich schnell und ging früher zu Bett, als es sich für ein Partymädchen gehörte, doch zum standesgemäßen Feiern fehlte mir einfach das Stehvermögen der alten Kate.

    Nach Weihnachten gab es einige gute Nachrichten für mich. Am Donnerstag, den 30. Dezember, erschien ich im Northern General Hospital, um mich der ersten Nachuntersuchung durch den Facharzt für Neurologie, »Ming, den Gnadenlosen«, zu unterziehen. Ich betrat das Sprechzimmer ohne Gehhilfe und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Was Ming zu sehen bekam, erstaunte ihn.
    »Sie sind ja das reinste Wunder!«, sagte er. »Sie müssen göttlichen Beistand gehabt haben.«
    Ich rückte ihm sofort den Kopf zurecht: »Man kann es auch knallharte Arbeit nennen.«
    Es ärgerte mich, dass er meine ganzen Anstrengungen, den Punkt zu erreichen, an dem ich jetzt stand, dermaßen abwertete. Allerdings hatte er auch ein kleines Bonbon für mich parat – die Erlaubnis, Auto zu fahren. Ich hätte ihn küssen können. Seitdem ich wusste, dass Mark während meines Aufenthalts auf der Intensivstation meinen Wagen verkauft hatte, liebäugelte ich mit einem neuen Auto – einem roten Mini Cooper Cabrio. Ich hatte Glück, dass Mark bei all seiner Genauigkeit vergessen hatte, meinen Führerschein an die Kraftfahrzeugzulassungsstelle zurückzuschicken. Jetzt teilte mir der Facharzt mit, er sei früher Fahrlehrer gewesen und er freue sich, das medizinische Formblatt ausfüllen zu können, das mich für fahrtauglich erklärte.
    Ein paar Wochen später überraschte mich Mark, zu seinem Wort stehend, mit einem verspäteten Weihnachtsgeschenk: einem roten Mini Cooper Cabrio! Nach meinem inspirierenden Kinohelden taufte ich ihn Rocky . Mit dem neuen Gefährt unter dem Hintern war ich noch unabhängiger, ich konnte vom Haus zum Wagen gehen und fahren, wohin ich wollte. Ich war nicht mehr aufs Taxi angewiesen, um mich ins Fitnessstudio bringen und von dort abholen zu lassen. Wenn ich in der Stadt eine Freundin auf einen Kaffee treffen wollte, setzte ich mich ins Auto und fuhr einfach los. Einer Plakette für Behinderte sei Dank durfte ich überall in der Nähe meines Bestimmungsortes parken. Es dauerte jedoch ein paar Wochen, bis ich das Kupplungsspiel wieder voll im Griff hatte, und so lange erkannte man mich an den Känguru-Sprüngen meines Autos.
    Verglichen mit Weihnachten war Silvester 2010 eine ruhige Veranstaltung. Alison und ihr Mann besuchten uns mit den Kindern. Alison und ich verbrachten die meiste Zeit alleine in der Küche, wir hatten keine Lust auf den ganzen Silvester- und Neujahrszinnober. Alison vermisste ihren Vater, und mir stand nicht der Sinn danach, irgendwelche großen Pläne zu schmieden. Das hatte ich vor genau einem Jahr getan, und man sah ja, wozu das geführt hatte.
    Ich schaffte es, bis Mitternacht aufzubleiben, so lange wie nie zuvor seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, und stieß auf ein besseres Jahr 2011 an, bevor ich schlafen ging.
    An diesem Abend postete ich auf Facebook:

2010 ist also vorbei, ich kann nicht sagen, dass mich das traurig stimmt! Es war ein Jahr wie kein anderes. Aber mich gibt es noch, und wie erschöpft der kleine Kämpfer Rocky auch sein mag, ich werde weiter kämpfen und als die zurückkommen, die ich einmal war. Für mich und alle jungen Menschen mit Schlaganfall, insbesondere Locked-in-Syndrom. Danke für die Aufmerksamkeit; sie gibt mir die Kraft, weiterhin jeden Tag zu kämpfen. Das Glas ist NICHT halb leer, es ist
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