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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern
Autoren: Kate Allatt
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Wechsel braucht«, murmelte die ältere Schwester ihrer Kollegin zu, als eine Duftwolke aus meiner Windel sie erreichte. Als sie die Vorhänge um mein Bett zogen, wurde mir klar, dass ich am Anfang einer langen Reihe von Erniedrigungen stand. Während ich ausgezogen und von einer Seite auf die andere gerollt wurde, die Schwestern mir den Hintern abwischten und die schmutzigen Einlagen in den Windelbeutel wanderten, versuchte ich, meine Scham zu unterdrücken. Ich schloss die Augen und rief mir das Gefühl frischer morgendlicher Bergluft in meiner Lunge in Erinnerung. In meiner Fantasie lief ich über Hügel.
    Nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatten, gingen die Schwestern zum nächsten Bett, und ihre Stimmen verloren sich im Surren und Schwirren der Maschinen. Erneut blieb mir nur das Zählen der Minuten. Wo ist Mark?, fragte ich mich. Ob er wohl weiß, dass ich lebe? Weshalb redet denn niemand mit mir?
    Eine Stunde verstrich, doch in diesem Niemandsland zwischen Medikamenten und Tod erschien es wie eine Ewigkeit. Dann erblickte ich am Ende meines Bettes plötzlich ein vertrautes Gesicht.
    »Mein Gott, hast du uns einen Schrecken eingejagt«, sagte Mark und versuchte, fröhlich zu klingen und seine Angst zu verbergen, als er mit dem Wrack seiner Frau konfrontiert wurde.
    Mark hatte mich nie krank erlebt – außer bei dem einen Mal, bei dem ich mir während eines Rugbyspiels auf der Hochschule den rechten Arm brach. Selbst als Woody mit einem Kaiserschnitt zur Welt kam, stand ich bereits drei Tage später wieder auf und ging ins Fitnessstudio. Mich drei Tage lang im Koma liegen zu sehen, war ein gewaltiger Schock für Mark. Obwohl meine Augen jetzt ein wenig geöffnet waren und leise Hoffnung bestand, erwies sich unsere Konversation als sehr einseitig.
    Ich war unheimlich erleichtert, ihn zu sehen. Er umging sämtliche Schläuche, setzte sich ans Bett und umarmte mich. Ich versuchte meine Hand zu bewegen, um seine Finger zu umklammern. Nichts. Ich versuchte meinen Fuß zu bewegen. Nichts. Ich wusste nicht, was mit mir passiert war. Ungewollt liefen mir Tränen über das Gesicht, und ich hatte keine Möglichkeit, sie zu verbergen, während Mark von seinem Tag bei der Arbeit berichtete und die eigenen Tränen zurückhielt.
    »Deine Mutter ist zu Hause und kümmert sich um die Kinder. Kate, du musst wieder gesund werden, schließlich weißt du, dass ich es nicht sieben Tage die Woche mit deiner Mutter aushalte«, sagte er in dem Versuch, die ernste Situation aufzuheitern.
    Ich wollte ihm mitteilen, dass ich lebte, doch mir stand keine Form der Kommunikation zur Verfügung. Mark hatte mir immer gesagt, meine Augen sprächen deutlicher als Worte. Er hatte gewitzelt, ein einziger Blick in meine Augen würde reichen, um zu wissen, ob ihn Unheil erwartete, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Jetzt konnte ich nur geradeaus starren und hoffen, dass er bemerkte, wie ich eine Verbindung zu ihm suchte. Ich wollte ihn fragen, ob er den Beitrag für Woodys Schwimmgruppe überwiesen hatte. Ich wollte wissen, ob India, Harvey und Woody gesehen hatten, wie ich in den Rettungswagen geschafft wurde, und ob sie genauso angsterfüllt waren wie ich.
    Ich beobachtete Mark, während er sprach, doch sein Gesichtsausdruck blieb vage. Ich fragte mich, ob die Ärzte ihm die Wahrheit gesagt hatten. Wusste er, dass ich sterben würde? War dies sein Abschiedsbesuch? Ich hatte Angst, er könnte auf meinen verkrüppelten Körper hinabsehen und mich dann verlassen. Mark redete noch, und mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, der meine Augen lachen ließ: »Dies ist das erste Mal, dass du in einem Gespräch mit mir die Oberhand gewinnen kannst, genieße es also!« Ich beobachtete, wie sich seine Lippen bewegten, und ich hätte sein Gesicht so gerne mit den Händen umfasst und ihn heftig geküsst.
    Erinnerungen an jenen Abend im Februar 1990 kamen auf, als wir uns im Sheffield Rugby Club zum ersten Mal begegneten. Ich war neunzehn, studierte im ersten Jahr an der Universität von Sheffield und war entschlossen, das Studentenleben in vollen Zügen zu genießen. Ich hatte mir vorgenommen, mich in sämtlichen verfügbaren Clubs zu engagieren oder zumindest in jenen, in denen auch gelacht wurde. Ich war Mitglied der weiblichen Rugbymannschaft, nicht weil ich den Nervenkitzel eines ordentlichen Matches liebte, sondern weil diese Mädchen nach dem Spiel zu feiern wussten. Aus dem gleichen Grunde wurde ich Mitglied in der »Irish Society«, nachdem ich
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