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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden
Autoren: James Morrow
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du noch das über den Großen Löffel?«
    »Den Großen Wagen. Ja.«
    »Könnten wir uns den Großen Wagen angucken? Ich meine, könnten wir ihn jetzt sehen?«
    »Na gut«, sagte George, entzog dem Teetisch ihre ARES-Montur. »Aber du mußt die Montur anziehen. Draußen ist es kalt.«
    »Nein, nein«, keifte Holly, »das ist doch Alfred die Vogelscheuche!«
    »Die Sache ist so, mein Herzchen: Wenn du die Montur nicht anlegst, können wir uns nicht den Großen Wagen angucken. Ich ziehe doch auch eine an.«
    »Flörchen möchte mitkommen.«
    »Na klar.«
    George wappnete seine Tochter gegen die Elemente. Die ARES-Montur paßte ihr genau. Holly sah darin, so wie ihr rundliches Strahlegesicht aus dem goldgelben Kragen lugte, bewundernswert aus. Um das Einschußloch im Handschuh auszugleichen, wickelte George ihre Hand in aus dem Bettzeug gerissene Seidenstreifen.
    Er hob Holly auf die Arme, trug sie und Flörchen einen Kilometer weit durch Korridore, blieb kurz an einem Schott stehen, nahm eine elektrische Leuchte vom Haken und hängte sie sich ans Handgelenk. Von der Navigationszentrale führte eine Wendeltreppe mit zwanzig Stufen aufs Hauptdeck. Am Luk zögerte er. »Schätzchen«, sagte er, »ich würde dich gerne was fragen.«
    »Was?«
    »Weißt du, was mit dir passiert ist?«
    »Ja, weiß ich.«
    »Was ist denn mit dir passiert?«
    »Ich möcht’s dir lieber nicht erzählen.«
    »Bitte verrat’s mir.«
    »Du weißt doch, was passiert ist.«
    »Sag’s mir.«
    »Ich bin gestorben.«
    *
    Eine dicke Schneeschicht lag auf dem Oberdeck, verhüllte die Klappen der Abschußrohre. Silbrige Eisgebilde schrägten von den Seitenflossen des U-Boots abwärts und hingen an den Sehrohren wie das Netz einer ungeheuren antarktischen Spinne. Zerklüftete Eisberge keilten den Rumpf von allen Seiten ein, drückten ihn fest gegen die Eisbarriere.
    »Oh, toll«, rief Holly. »Es hat geschneit, sieh nur, Papi, es hat geschneit.«
    Ihr zu entgegnen, daß es in der Antarktis nicht schneite, sondern der Wind lediglich ununterbrochen die Eiskristalle umverteilte, verspürte George kein Bedürfnis.
    Holly schaute an den Himmel empor. Die Sterne schienen scharf und klar. »Ist er da? Können wir den Großen Wagen sehn?«
    »Ich weiß nicht genau…«
    »Ich glaube, ich seh ihn.«
    »Schätzchen, mir fällt gerade was ein. Wir sind in der südlichen Hemisphäre…«
    »Ist er das?« fragte Holly, deutete mit den stämmigen, umhüllten Fingern himmelwärts.
    George betrachtete das Firmament. Unkenntliche Sternenschwärme. Undeutbare Schwaden von Sternchen. »Ja, Herzchen, ich glaube, das ist er.«
    »Das sagst du nur! Wir können den Großen Wagen gar nicht sehn.«
    »Tut mir leid, Schätzchen. Das tut mir wirklich leid. Wir sind zu weit im Süden, deshalb…«
    »Macht ja nichts, Papi. Laß mich runter.« George senkte die Arme, Holly rutschte hinab in den verharschten Schnee. Ächzen ähnliche Geräusche durchknarrten die Luft, als Eis und Rumpf aneinanderschabten. »Ich hab dich lieb, Papi.«
    »Ich hab dich auch lieb, Holly.«
    »Mami konnte nicht kommen«, sagte sie leise.
    »Ja. Das ist sehr traurig.«
    »Wir konnten den Großen Wagen nicht sehn.«
    »Ja. Das ist auch traurig.«
    Wind kam auf, zerwühlte den Schnee, wehte Schneebälle gegen den Turm. »Dankeschön für die Geschenke, Papi«, sagte Holly. »Die Puppe gefällt mir echt. Das war ’n tolles Weihnachtsfest.«
    »Das schönste Weihnachten«, bekräftigte George, »was wir je hatten.«
    »Jetzt muß ich gehn.«
    »Nein! Du kannst doch jetzt nicht gehen!«
    »Das Geschirr fand ich total gut, und mit dir Besuch zu spielen, hat mir riesig Spaß gemacht. Vielen Dank für Flörchen. Und vergiß nicht, Jennifer zu füttern. Sie kriegt ihr Fläschchen um sechs Uhr mitternachts.«
    »Bitte bleib da, Holly! Bitte! Du darfst noch nicht fort!« George riß eine Faustvoll Vielfraßfell aus der Parkakapuze. »Ich muß dir erst eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen. Sie ist über eine Elfe, die einen goldenen Schatten wirft. Bitte! Eines Tages kam der Onkel der Elfe zu Besuch und wollte wissen, was…«
    »Tschüß, Papi.«
    Sie umarmten, drückten sich so fest, daß es hätte wehtun müssen.
    »Bitte geh nicht, Holly! Bitte!«
    »Lebwohl, Papi. Ich hab dich lieb.«
    »Lebwohl, mein Schätzchen. Ich hab dich auch lieb. Ich habe dich so lieb.«
    Holly befreite sich aus seinem Griff, rutschte auf dem Hinterteil den Rumpf hinunter, geradeso wie auf einer Rutschbahn. Der Zylinderhut fiel ihr vom
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