Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
hatte Oskar sich jedes Mal geängstigt, wenn das Telefon klingelte, doch dann war statt eines Anrufs ein an seine Mutter adressierter Brief gekommen.
    Vollkommen idiotisch. Es stand sogar »Die Polizei im Regierungsbezirk Stockholm« auf dem Briefumschlag, und Oskar hatte ihn natürlich aufgeschlitzt, von seinem Verbrechen gelesen, Mamas Unterschrift gefälscht und den Brief anschließend zurückgeschickt, um zu bestätigen, dass er ihn gelesen hatte. Feige mochte er ja sein, aber dumm war er nicht.
    Und was hieß hier eigentlich feige? War es etwa feige, was er jetzt tat? Er stopfte sich die Taschen seines Steppanoraks voll mit Daim, Mars, Nuts und Bounty. Schließlich schob er sich noch eine Tüte Gummibärchen zwischen Hosenbund und Bauch; ging zur Kasse und bezahlte für einen Lutscher.
    Auf dem Heimweg ging er hoch erhobenen Hauptes und leichten Schritts. Er war nicht das Schweinchen, auf dem alle herumtrampeln konnten, er war der Meisterdieb, der allen Gefahren trotzte und überlebte. Er konnte jeden täuschen.
    Als er über den Durchgang seinen Hinterhof erreicht hatte, war er in Sicherheit. Keiner seiner Feinde wohnte in diesem Block, einem unregelmäßig geformten Zirkel innerhalb des größeren Zirkels der Ibsengatan. Ein doppelter Befestigungsring. Hier war er sicher. Auf diesem Hinterhof war ihm im Großen und Ganzen noch nie etwas Schlimmes passiert.
    Hier war er aufgewachsen, und hier hatte er Spielkameraden gehabt, bevor er in die Schule kam. Erst in der fünften Klasse war er allmählich zu einem Außenseiter geworden. Gegen Ende des fünften Schuljahres hatte man ihn endgültig als Sündenbock abgestempelt, was sich auch auf Spielkameraden übertrug, die nicht in seine Klasse gingen. Immer seltener riefen sie ihn an, um zu fragen, ob er mit ihnen spielen wollte.
    Zu jener Zeit hatte er auch das Buch für seine Zeitungsausschnitte angelegt. Das Buch, mit dem er sich jetzt zu Hause vergnügen würde.
    HIIIINNN!
    Ein surrendes Geräusch ertönte, und irgendetwas prallte gegen seine Füße. Ein dunkelrotes, ferngesteuertes Auto setzte zurück, wendete und fuhr in rasendem Tempo den Hang zum Eingang seines Hauses hinauf. Hinter den Dornensträuchern, die rechts hinter dem Durchgang wuchsen, stand mit einer langen Antenne, die von seinem Bauch abstand, Tommy und lachte kurz.
    »Da hast du dich gewundert, was?«
    »Ganz schön schnell.«
    »Ja. Willst du es kaufen?«
    »… wie viel?«
    »Dreihundert.«
    »Nee. Die hab ich nicht.«
    Tommy winkte Oskar mit dem Zeigefinger zu sich, wendete das Auto am Hang und ließ es mit Renngeschwindigkeit herabfahren, stoppte es schlenkernd vor seinen Füßen, klopfte darauf und sagte leise:
    »Kostet neunhundert im Geschäft.«
    »Ja.«
    Tommy betrachtete das Auto, musterte anschließend Oskar von Kopf bis Fuß.
    »Wie wär’s mit zweihundert? Es ist echt nagelneu.«
    »Ja, es ist toll, aber …«
    »Aber?«
    »Nee.«
    Tommy nickte, setzte das Auto wieder ab und ließ es zwischen die Sträucher fahren, sodass die großen, genoppten Räder vibrierten, lenkte es um die Teppichstange und auf die Straße, weiter den Hang hinab.
    »Darf ich mal probieren?«
    Tommy sah Oskar an, als wollte er abschätzen, ob dieser würdig war oder nicht, reichte ihm daraufhin die Fernsteuerung und zeigte auf Oskars Oberlippe.
    »Hast du Prügel bezogen? Du hast da Blut.«
    Oskar fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Lippe, ein paar braune Körner blieben daran hängen.
    »Nee, das war nur …«
    Nicht erzählen. Das brachte ja doch nichts. Tommy war drei Jahre älter als er. Cool. Er würde ihm nur erzählen, dass man zurückschlagen musste, und Oskar würde »ja klar« sagen, und das einzige Ergebnis würde sein, dass er in Tommys Achtung noch weiter gesunken war.
    Oskar steuerte den Wagen eine Weile und schaute anschließend zu, als Tommy ihn steuerte. Er hätte sich gewünscht, zweihundert Mäuse zu haben, denn dann hätten Tommy und er ein Geschäft abschließen können. Sie hätten etwas Gemeinsames gehabt. Er vergrub die Hände in den Jackentaschen und stieß auf die Süßigkeiten.
    »Willst du ein Daim?«
    »Nee, mag ich nicht.«
    »Was ist mit Mars?«
    Tommy blickte von der Fernsteuerung auf, lächelte.
    »Hast du beides?«
    »Ja.«
    »Geklaut?«
    »… ja.«
    »Okay.«
    Tommy streckte die Hand aus, und Oskar legte ein Mars darauf, das Tommy in die Gesäßtasche seiner Jeans schob.
    »Danke. Tschüss.«
    »Tschüss.«
    Als Oskar in die Wohnung gekommen war, legte er alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher