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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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seltsamen Geschmack im Mund hatte. Da hörte er auf und öffnete die Augen.
    Sie waren gegangen.
    Er blieb zusammengekrümmt auf dem Toilettendeckel sitzen und starrte zu Boden. Auf den Kacheln unter ihm war ein roter Fleck. Noch während er hinsah, fiel ein weiterer Tropfen Blut von seiner Nase zu Boden. Er zog etwas Toilettenpapier von der Rolle und hielt es sich vor die Nase.
    Das passierte ihm manchmal, wenn ihn die Angst packte. Er bekam Nasenbluten, einfach so, was ihm ein paar Mal geholfen hatte, als sie ihn eigentlich schlagen wollten, dann jedoch darauf verzichteten, weil er bereits blutete.
    Oskar Eriksson saß zusammengekauert mit einem Papierbausch in der einen Hand und dem Pinkelball in der anderen. Er blutete, bepinkelte sich, redete zu viel. Er leckte aus jedem Loch, das er hatte. Bald würde er bestimmt auch noch in die Hose kacken. Das Schweinchen.
    Er stand auf, verließ die Toilette. Tat nichts gegen den Blutfleck auf dem Fußboden. Soll ihn doch ruhig jemand sehen, soll sich doch jemand wundern und glauben, dass hier ein Mensch getötet worden ist, weil hier ein Mensch getötet worden war. Zum hundertsten Mal.
    *
    Håkan Bengtsson, ein fünfundvierzigjähriger Mann mit stetig rundlicherem Bauch, schütter werdenden Haaren und einem den staatlichen Behörden unbekannten Wohnsitz saß in der Bahn, schaute aus dem Fenster und studierte, was fortan sein neues Zuhause sein würde.
    Ehrlich gesagt war es ein bisschen hässlich. Norrköping war pittoresker gewesen. Trotzdem sahen diese westlichen Vororte bei weitem nicht so schlimm aus wie die Stockholmer Trabantenstädte, die er im Fernsehen gesehen hatte; Kista und Rinkeby und Hallonbergen. Hier war es anders.
    »NÄCHSTER HALT: RÅCKSTA.«
    Ein wenig runder und sanfter. Obwohl, hier stand zur Abwechslung ein richtiger Wolkenkratzer.
    Er legte den Kopf in den Nacken, um bis zur obersten Etage von Vattenfalls Bürokomplex schauen zu können. Er konnte sich an kein vergleichbares Gebäude in Norrköping erinnern. Allerdings war er dort auch niemals im Stadtzentrum gewesen.
    An der nächsten Haltestelle musste er aussteigen, oder nicht? Er warf einen Blick auf die Karte des U-Bahn-Netzes, die über der Ausstiegstür klebte. Ja. An der nächsten.
    »VORSICHT AN DEN TÜREN. DIE TÜREN SCHLIESSEN.«
    Es sah ihn doch keiner an?
    Nein, in seinem Wagen saß nur eine Hand voll Menschen, die ausnahmslos in ihre Abendzeitungen vertieft waren. Morgen würden diese Blätter über ihn berichten.
    Sein Blick fiel auf ein Werbeplakat für Unterwäsche. Eine Frau posierte aufreizend in einem schwarzen Spitzenslip und BH. Es war verrückt. Überall nackte Haut. Dass so etwas überhaupt erlaubt war. Welche Auswirkungen hatte das eigentlich auf die Köpfe der Menschen, auf die Liebe?
    Seine Hände zitterten, und er ließ sie auf den Knien liegen. Er war so schrecklich nervös.
    »Gibt es denn wirklich keinen anderen Weg?«
    »Meinst du, ich würde dir das zumuten, wenn es einen anderen Weg gäbe?«
    »Nein, aber …«
    »Es gibt keinen anderen Weg.«
    Es gab keinen anderen Weg. Man musste es einfach tun. Und durfte es nicht vermasseln. Er hatte im Telefonbuch den Stadtplan studiert und ein Waldstück ausgewählt, das ihm geeignet erschien, daraufhin seine Tasche gepackt und sich auf den Weg gemacht.
    Das Adidaszeichen hatte er mit dem Messer abgetrennt, das nun in der Tasche zwischen seinen Füßen lag. Dies gehörte zu den Dingen, die in Norrköping schiefgelaufen waren. Jemand hatte sich an die Marke der Tasche erinnert, woraufhin die Polizei sie in dem Müllcontainer gefunden hatte, in den er sie unweit ihrer Wohnung geworfen hatte.
    Heute würde er die Tasche mit nach Hause nehmen. Sie eventuell in kleine Fetzen schneiden und die Toilette hinunterspülen. Machte man das so?
    Wie machte man das eigentlich?
    »AUSSTIEG FÜR SÄMTLICHE FAHRGÄSTE.«
    Die Bahn spuckte ihre Fracht aus, und Håkan folgte mit der Tasche in der Hand. Sie erschien ihm schwer, obwohl das Einzige darin, was etwas wog, der Druckbehälter war. Er bemühte sich, normal zu gehen, und nicht wie ein Mann, der zu seiner eigenen Hinrichtung unterwegs war. Er durfte den Leuten nicht auffallen.
    Doch seine Beine waren schwer wie Blei, wollten sich auf den Bahnsteig ergießen und erstarren. Und wenn er einfach stehen blieb? Wenn er sich mucksmäuschenstill hinstellte, keinen Muskel rührte und einfach dastand? Darauf wartete, dass sich die Nacht herabsenken würde, darauf, dass er jemandem ins Auge fiel,
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