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Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Titel: Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute
Autoren: Stefan Volk
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treffen sich heimlich (Abb. 96). Sie wird schwanger. Aus Angst um seine Karriere und Rücksicht auf die Partei ist Werner Horrath jedoch nicht bereit, sich öffentlich zu seiner Geliebten und dem gemeinsamen Kind zu bekennen. Ein treu denkendes Parteimitglied präsentiert sich nicht als Ehebrecher. Auch Kati Klee kann es sich hinsichtlich ihrer Karriere nicht leisten, den Namen des Kindsvaters preiszugeben.

    96 Krystyna Stypulkowska und Eberhard Esche
    In dieser schwierigen Lage offenbart Balla den weichen Kern unter seiner harten Schale. Rührend kümmert er sich um die alleinerziehende Mutter und ihr Kind. Aber auch in Horrath erkennt das sanfte Raubein nun den engagierten Weltverbesserer, dem Land und Menschen mehr am Herzen liegen als die Interessen einer eingefahrenen und verstaubten Partei. Horrath wiederum schätzt Balla als seinen fähigsten Arbeiter und riskiert einiges, um ihn zu halten.
    Aus den drei Fremden werden so am Ende doch noch Verbündete. Balla springt über seinen Schatten, akzeptiert Beschlüsse der Partei und verteidigt sie sogar vor seinen Anhängern. Umgekehrt greift Horrath Ballas Kritik an Partei und System auf und versucht aus den Mühlen der Bürokratie auszubrechen. Nur für Kati Klee gibt es keine Zukunft mehr auf der Baustelle. Obwohl beide Männer um ihr Wohl besorgt sind, zieht sie einen Schlussstrich unter diesen Abschnitt ihres Lebens: «Ich will neu anfangen! Ich habe es satt, mir selbst leid zu tun!»
    Eingebettet ist diese politische Liebesgeschichte in eine Rahmenhandlung, die den sozialkritischen Aspekt des Filmes besonders hervorhebt. Ausgangspunkt für das im Rückblick erzählte Hauptgeschehen ist eine Sitzung, in der über den Ausschluss Horraths aus der SED beraten wird, nachdem dieser eingeräumt hat, der Vater von Kati Klees Kind zu sein. Das private Schicksal Horraths und seiner Familie spielt in dieser Verhandlung keine Rolle. Vielmehr geht es um grundlegende moralische Fragen: den Konflikt zwischen Linientreue und Menschlichkeit, Staatsräson und Individuum, zwischen dem totalitären Anspruch des SED-Regimes und dem Glück des Einzelnen. Beyer greift damit einen Konflikt mit einer langen filmischen und literarischen Tradition auf, der sich beispielsweise auch in Theodor Fontanes Effi Briest als Konflikt zwischen überholten gesellschaftlichen Ansprüchen und individuellen Bedürfnissen äußerte. Dass bei Beyer die überholten gesellschaftlichen Ansprüche von den Funktionären der SED vertreten werden, begründet den politischen Sprengstoffseines Filmes. Daran kann auch der versöhnliche Schluss, an dem der gütige Bezirksparteisekretär Jansen das Ausschlussdokument zerreißt, nichts mehr ändern.
    Die realen Parteioberen zeigten sich denn auch weniger kompromissbereit als ihre filmischen Pendants. Nicht zuletzt ihre unversöhnliche Reaktion auf S PUR DER S TEINE entlarvte den vom Film intendierten Brückenschlag zwischen Totalität und Individualität und damit die Hoffnung auf eine menschlichere Interpretation des verkrusteten SED-Sozialismus’ als Illusion.
«Ulbricht schäumte» – der Skandal
    «Unsere DDR ist ein sauberer Staat!» Als der Sicherheitssekretär des Zentralkomitees der SED (ZK), Erich Honecker, diesen Satz im Dezember 1965 auf dem 11. Plenum des ZK aussprach, markierte das einen Richtungswandel in der Kulturpolitik des DDR-Regimes, dem auch S PUR DER S TEINE zum Opfer fallen sollte. Die kurze Phase der nach innen gerichteten Liberalisierung, die unter Walter Ulbricht auf den Mauerbau von 1961 gefolgt war, ging damit zu Ende. Denn gemeint war Honeckers Bemerkung nicht als Feststellung, sondern als Warnung an all diejenigen Kulturschaffenden, die den SED-Staat mit ihren unangepassten und als pro-westlich diffamierten Werken zu beschmutzen drohten:
    «Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte. In den letzten Monaten gab es einige Vorfälle, die unsere besondere Aufmerksamkeit erforderten. Einzelne Jugendliche schlossen sich zu Gruppen zusammen und begingen kriminelle Handlungen; es gab Vergewaltigungen und Erscheinungen des Rowdytums. Es gibt mehrere Fälle ernster Disziplinverstöße beim Lernen und in der Arbeit, Studenten, die zum Ernteeinsatz waren, veranstalteten Saufgelage im Stile des westdeutschen reaktionären Korpsstudententums. Die Arbeitsmoral während des Einsatzes war bei einigen Gruppen von Studenten schlecht. […] Wir stimmen jenen zu, die
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