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Sittenlehre

Sittenlehre

Titel: Sittenlehre
Autoren: Martin Kohan
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argentinische General Mario Benjamín Menéndez, unterzeichnet in Anwesenheit des britischen Generals Jeremy Moore, Kommandeur der siegreichen gegnerischen Streitkräfte, die Kapitulationsurkunde. Vierundsiebzig Tage nach Beginn der argentinischen Invasion endet damit dieser bewaffnete Konflikt. Die Soldaten der unterlegenen Truppen stellen sich an verschiedenen Stellen der Inselgruppe in Reihen auf, um sich zu ergeben; ihre Gewehre legen sie unter den wachsamen Blicken der Engländer zu großen Haufen zusammen, anschließend werden sie gefangengenommen. Rechnet man die Gefallenen beider Länder zusammen, ergibt sich eine Zahl von mehr als neunhundert Kriegstoten.
    Im Colegio Nacional de Buenos Aires wird eine dreitägige Aussetzung der Lehrtätigkeit angeordnet. Weder am Montag noch am Dienstag, noch am Mittwoch findet Unterricht statt. Die Aufseher übermitteln den Schülern diese Nachricht vor dem Eingang des Gebäudes. Anschließend gehen sie fort, ohne ihrerseits die für die Öffentlichkeit gesperrte Schule betreten zu haben.
    Am Donnerstag wird der Unterricht wiederaufgenommen, als wäre nichts gewesen. In der Zwischenzeit ist jedoch die gesamte Schulleitung ausgetauscht worden. Es gibt einen neuen Rektor. Ebenso einen neuen Studienleiter.Wie auch einen neuen Oberaufseher. Sie alle sind provisorisch vom Führungskomitee der Universität von Buenos Aires ernannt worden, für eine Zeit, deren Dauer noch zu bestimmen sein wird, die aber schon jetzt – im Colegio selbst wie auch außerhalb – als Übergangsperiode bezeichnet wird. Die frühere Schulleitung (also der anstelle des ursprünglichen Rektors amtierende Vizerektor, der Studienleiter, der Oberaufseher, außerdem Herr Vivot) erscheint weder, um sich zu verabschieden, noch wird sie aufgefordert, bei einer wie auch immer gearteten formellen Amtsübergabe anwesend zu sein. Nichts dergleichen geschieht. Am Donnerstag finden alle bereits die neue Leitung am Ort ihres Wirkens vor. Deren Vorgänger sind einfach nicht mehr da. Sie sind weg, sie kommen nicht zurück, im Colegio werden sie nie mehr zu sehen sein.
    Francisco Cornejo kehrt in einem Hércules-Flugzeug der argentinischen Luftwaffe aus Comodoro Rivadavia zurück; frühmorgens am Samstag landet die Maschine auf dem Flughafen von El Palomar. Das Wiedersehen mit seiner Familie, zwei Stunden danach, in der Kaserne von Villa Martelli, ist bewegend, auch wenn sich alle zurückhalten. Seine Mutter Hilda und seine Schwester María Teresa erwarten ihn auf der anderen Seite des Holzzauns, am Rand der Avenida San Martín.
    Zwei Monate nach seiner Rückkehr findet Francisco eine Stelle in einer Autofabrik in der Provinz Córdoba. Zusammen mit Mutter und Schwester zieht er in ein Viertel am Rand der Provinzhauptstadt. Das Viertel heißt Malvinas Argentinas. Sie mieten eines der für diese Gegend typischen kleinen Einfamilienhäuser, bescheiden und dennoch durchaus vorzeigbar, mit einem kleinenGarten hinter dem Haus, der es ihnen erlaubt, einen alten Traum zu verwirklichen: Sie legen sich einen Hund zu. Es ist ein Labrador, und sie nennen ihn Tobías.
    Im Colegio Monserrat von Córdoba gibt es keine Aufseherinnen, bloß Aufseher. Aber ein leitender Angestellter der Renaultfabrik verspricht, er wolle sich umhören, vielleicht läßt sich mit Hilfe seiner Beziehungen eine Stelle in der Verwaltung beschaffen.
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