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Sinnliches Erwachen

Sinnliches Erwachen

Titel: Sinnliches Erwachen
Autoren: Gena Showalter
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Mühen. Sie würde sich freuen über all das, was er getan hatte – er wusste es einfach.
    Jetzt zu den Blumen.
    Cornelia wollte, dass er hierblieb, und hätte er versprochen, ihr zu gehorchen, wäre er es auch. Aber er hatte es nicht versprochen. Er hatte ihr nur gesagt, dass er verstand, was sie wollte. Außerdem war das alles für sie, nur für sie, und niemand würde ihn zu Gesicht bekommen. Dafür würde er sorgen.
    Er marschierte zum Balkon und stieß die Doppeltür auf. Kühle Nachtluft umfing ihn. Der Palast stand in einer entlegenen Gegend der niederen Himmelreiche, umgeben von Tausenden von Sternen, die aus der endlosen samtenen Schwärze herüberfunkelten. Hell stand der Mond hoch oben am Himmel, eine schmale Sichel mit aufwärtsgerichteten Spitzen.
    Der Mond lächelte ihm zu.
    Ermutigt trat Koldo an den Rand des Balkons. Es gab kein Geländer, und er krümmte die Zehen um die Kante. Dann breitete er die Flügel zu ihrer vollen Spannweite aus. Pure Freude durchströmte ihn. Er liebte es, durch den Himmel zu fliegen, hinaufzugleiten und hinabzusausen, Purzelbäume durch die Wolken zu schlagen und Vögeln nachzujagen.
    Seine Mutter ahnte nichts davon. „Untersteh dich, deine Flügel je zu benutzen“, hatte sie ihm an jenem Tag befohlen, als sie begonnen hatten, aus seinem Rücken zu sprießen. Natürlich hatte er vorgehabt, ihr zu gehorchen, aber dann hatte sie eines Tages getobt und geschrien, wie sehr sie ihn verabscheute, und er war aufs Dach geklettert, damit sie sein hässliches Gesicht nicht länger sehen musste. Abgelenkt von seinem Elend, war er gestürzt – hinab in die unendliche Tiefe.
    Kurz vor der Landung hatte er die bislang unbenutzten Gliedmaßen gespreizt und es geschafft, seinen Aufprall zu bremsen. Einen Arm und ein Bein zerschmettert, mehrere Rippen gebrochen, die Lunge durchstoßen und einen Knöchel angeknackst, war er vom Aufschlagort fortgekrochen. Mit der Zeit waren seine Wunden verheilt – und beim nächsten Mal war er absichtlich gesprungen. Er war süchtig gewesen nach dem Gefühl des Windes auf seiner Haut und in seinem Haar und hatte sich nach mehr gesehnt.
    Jetzt, in der Gegenwart, stürzte er sich kopfüber hinab. Scharf fuhr ihm der Wind ins Gesicht, und er musste einen Jubelschrei unterdrücken. Diese Freiheit … das Kitzeln der Gefahr … der Rausch von Wärme und Kraft – davon würde er niemalsgenug bekommen. Sekunden vor dem Aufprall drehte er sich und richtete sich auf, fing die Luftströme mit seinen Flügeln ein. Sanft landete er, die Füße schon in Bewegung.
    Ein Schritt, zwei, drei, und schon war er kilometerweit in den Wald vorgedrungen. Nicht nur weil er schnell war – denn das war er –, sondern weil er etwas konnte, wozu seine Mutter und die anderen Himmelsgesandten, die er gesehen hatte, nicht in der Lage waren. Er konnte sich mit bloßer Gedankenkraft von einem Ort zum anderen begeben.
    Diese Fähigkeit hatte er vor ein paar Monaten entdeckt. Anfangs hatte er sich nur einen Meter weit teleportieren können, dann zwei, aber Tag für Tag hatte er es ein kleines bisschen weiter geschafft. Dafür musste er nur seine Emotionen dämpfen und sich konzentrieren.
    Schließlich kam er bei der Wiese voller Wildblumen an, die er entdeckt hatte, als er das letzte Mal die Regeln gebrochen und den Palast verlassen hatte. Er pflückte nur die hübschesten mit ihren leuchtend lavendelfarbenen Blütenblättern, die ihn an die Augen seiner Mutter erinnerten. Neugierig hob er sie an die Nase und roch daran. Sofort hüllte ihn das köstliche Aroma von Kokosnüssen ein, und sein Grinsen kehrte zurück.
    Wenn Cornelia fragte, woher er den Strauß hatte, würde er ihr natürlich die Wahrheit sagen. Lügen würde er niemals, nicht einmal, um einer Strafe zu entgehen. Nicht nur, weil Gesandte – anders als er – es schmeckten, wenn ein anderes Wesen log, sondern auch weil Lügen die Sprache der Dämonen waren. Und Dämonen waren beinahe so böse wie sein Vater.
    Seine Mutter würde seine Ehrlichkeit zu schätzen wissen. Bestimmt.
    Die Hände voll mit feuchten grünen Stängeln, sprintete er aus dem Wald und schwang sich empor, höher und höher, die Federn raschelnd im Wind, die Muskeln auf seinem Rücken herrlich gefordert. Auf und ab glitten seine Flügel. Donnernd schlug ihm das Herz in der Brust, als er wieder auf dem Balkon landete und durch den Türspalt spähte. Von seiner Mutter war nichts zu sehen.
    Erleichtert atmete er auf und ging hinein. Sorgsam nahm er die
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