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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition)
Autoren: Hugh Howey
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dem Kinn in Richtung der Koje.
    »Wenn die Zelle leer
ist, nachts, wenn du und Marnes keinen Dienst habt, sitze ich manchmal hier und
genieße diesen Blick.«
    Holston wandte sich
wieder der matschigen Landschaft zu. Der Anblick war einfach nur deprimierend,
verglichen mit den Bildern in den Kinderbüchern – den einzigen Büchern, die den
Aufstand überstanden hatten. Die meisten glaubten nicht an die Farben in den
Büchern, sowenig wie sie glaubten, dass es je lila Elefanten und rosa Vögel
gegeben hatte, doch Holston fand sie wirklicher als das Bild, das er jetzt vor
sich hatte. Wie einige andere empfand auch er etwas Ursprüngliches und Tiefes,
wenn er diese zerfledderten Seiten und bunten Bilder betrachtete. Und trotzdem
wirkte der Blick auf die dreckige Außenwelt gegenüber dem erdrückenden Silo wie
eine Erlösung, eben wie die frische Luft, die die Menschen zu atmen geboren
waren.
    »Hier wirkt alles
immer ein bisschen klarer«, sagte Jahns, »also … ich meine … der Blick.«
    Holston sagte noch
immer nichts. Er sah zu, wie ein kräuseliger Wolkenfetzen sich löste und
davonzog. Schwarz und Grau wirbelten durcheinander.
    »Du kannst dir ein
Essen wünschen«, sagte Jahns. »Das ist Tradition …«
    »Du brauchst mir
nicht zu erklären, wie das hier abläuft«, unterbrach er sie. »Ich habe Allison
vor drei Jahren ihre letzte Mahlzeit in genau diese Zelle gebracht.« Aus
Gewohnheit wollte er den Kupferring an seinem Finger drehen, er hatte
vergessen, dass er ihn vor ein paar Stunden auf seine Kommode gelegt hatte.
    »Ich kann gar nicht
glauben, dass es schon so lange her ist«, sagte Jahns leise zu sich selbst.
Holston drehte sich um und sah, wie sie mit zusammengekniffenen Augen in die
Wolken blickte, die an der Wand zu sehen waren.
    »Fehlt sie dir?«,
fragte er gehässig. »Oder passt es dir nicht, dass sich in der langen Zeit
wieder so viel Dreck auf den Linsen hat ansammeln können?«
    Jahns funkelte ihn
kurz an, dann senkte sie den Blick. »Du weißt, dass ich das hier nicht will,
nicht für die sauberste Linse der Welt. Aber Regeln sind nun mal Regeln.«
    »Das musst du mir
nicht sagen!« Holston versuchte, seine Wut im Zaum zu halten. »Ich kenne die
Regeln besser als die meisten anderen.« Er wollte kurz an sein Abzeichen
greifen – aber es fehlte, genau wie sein Ring. »Ich habe diese Regeln den
größten Teil meines Lebens durchgesetzt, selbst nachdem mir klar geworden ist,
wie unsinnig sie sind!«
    Jahns räusperte
sich. »Ich werde dich nicht fragen, warum du dich entschieden hast zu gehen.
Vermutlich, weil du hier drinnen noch unglücklicher wärst.«
    Ihre Blicke trafen
sich, Holston sah den Schleier auf ihren Augen, bevor sie ihn wegblinzeln
konnte. Sie sah dünner aus als sonst, verloren in ihrem weiten Overall. Die
Falten an ihrem Hals und um ihre Augen waren tiefer, als er sie in Erinnerung
hatte. Dunkler. Und er dachte, dass ihre Stimme nicht nur vom Alter und vom
regelmäßigen Tabakkonsum so brüchig war – er hörte aufrichtiges Bedauern darin.
    Auf einmal sah
Holston sich mit Jahns’ Augen, sah im blassen Schimmer der toten Außenwelt
einen gebrochenen Mann mit grauer Haut, der auf einer abgewetzten Bank saß, und
bei diesem Anblick wurde ihm schwindlig. Er versuchte, sich an einem vernünftigen
Gedanken, an etwas Sinnvollem festzuhalten. Es war wie ein Albtraum, die
Zwangslage, in die sein Leben geraten war. Keines der letzten drei Jahre schien
tatsächlich stattgefunden zu haben.
    Er sah wieder auf
die Hügel hinaus. Aus dem Augenwinkel meinte er ein weiteres Pixel sterben und
weiß aufleuchten zu sehen. Ein weiteres winziges Fenster hatte sich geöffnet,
eine weitere optische Täuschung.
    Morgen bin ich
erlöst, dachte er, selbst wenn ich da draußen sterbe.
    »Ich bin schon zu
lange Mayor«, sagte Jahns.
    Holston sah sie an,
ihre runzligen Hände umschlossen den kalten Stahl der Gitterstäbe.
    »Unsere
Aufzeichnungen reichen nicht bis zu den Anfängen zurück, sondern beginnen erst
mit dem Aufstand vor anderthalb Jahrhunderten. Aber seitdem hat kein Mayor mehr
Menschen zur Reinigung geschickt als ich.«
    »Tut mir leid, wenn
ich dir Unannehmlichkeiten mache«, sagte Holston.
    »Ich will damit nur
sagen, dass es mir auch keinen Spaß macht. Nicht den geringsten.«
    Holston wies mit
einer Armbewegung zum Monitor.
    »Aber morgen Abend
bist du dann trotzdem die Erste, die sich den Sonnenuntergang durch die frisch
geputzte Linse anguckt, oder?« Er hasste den Klang seiner
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