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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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böse?“
    „Nein. Aber ich will nicht, dass du wie dein Vater wirst.“
    „Das ist nicht sehr wahrscheinlich“, grinste Schatten. „Er war doch eine große Fledermaus, nicht?“
    „Ja. Er war eine große Fledermaus. Aber du bist ja eines Tages vielleicht auch eine.“
    Vielleicht . Das klang nicht sehr viel versprechend. Er schaute von seiner Wäsche hoch. „Mami, eine Fledermaus kann doch keine Eule töten, oder?“
    „Nein“, sagte sie. „Keine Fledermaus kann das.“
    „Genau“, sagte Schatten traurig. „Sie sind zu groß. Keine Chance, dass eine Fledermaus das könnte.“
    „Denk nicht daran, was Chinook gesagt hat.“
    „Ja“, sagte Schatten.
    „Hier, da hast du einen großen Fleck.“ Sie rückte näher und begann ihre Krallen sanft durch sein Rückenfell zu ziehen.
    „Ich kann das selber“, sagte Schatten, allerdings ohne viel Überzeugungskraft. Er entspannte seine schmerzenden Schultern, als ihm seine Mutter immer wieder durch das Fell kämmte. Ein wunderbar schwebendes Gefühl ließ ihn schläfrig werden, er fühlte sich sicher, warm und glücklich und wünschte, es könnte immer so sein. Aber als er die Augen schloss, brannte noch immer auf der Innenseite der Lider das Bild der aufgehenden Sonne, dieser blendenden Lichtscheibe.
    Schatten gab sich Mühe, sein Verhalten zu bedauern, aber das war nicht leicht, besonders als er merkte, dass er berühmt war, wenigstens bei den Jungen. Gleich am nächsten Abend verlangten Osric, Yara, Penumbra und einige andere einen vollständigen Bericht über sein Abenteuer mit der Eule, und er war dazu nur allzu gern bereit. Überwiegend hielt er sich dabei an die Wahrheit, nur gelegentlich schmückte er sie mit ein paar erfundenen Einzelheiten aus. Chinook blieb fern, Jarod ebenso. Aber Schatten wusste, dass sie alles erfahren würden.
    Es blieb ihm jedoch nicht viel Zeit, seinen neuen Ruhm zu genießen, denn bald leerte sich die Behausung, als alle Fledermäuse zur nächtlichen Jagd aufbrachen und Schatten zurückbleiben musste. Das war Teil seiner Strafe: Er hatte Flugverbot. Er musste die ganze Nacht im Baumhort bei den alten, langweiligen Fledermäusen bleiben, die zum Jagen zu schwach waren und sich sowieso lieber drinnen aufhielten. Nur für eine Stunde durfte er um Mitternacht zur Nahrungsaufnahme hinaus. Aber selbst dann war seine Mutter ganz nahe bei ihm und er konnte sich nicht außer Sichtweite vom Unterschlupf entfernen. Das Ganze machte ihm nicht allzu viel aus, denn er wusste, dass sie den Baumhort sowieso in zwei Nächten verlassen würden, um ihre Wanderung anzutreten, und damit wäre seine Strafe abgelaufen.
    Trotzdem wollte er die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Im Inneren des Baumstamms übte er Starts und Landungen. Er zielte mit seinem Klangecho auf Zweige oder Moosstückchen, als ob es Bärenspinner wären, und stürzte sich zum Fang auf sie hinab. Und immer dachte er nach. Über die Sonne, über die Eulen. Und an seinen Vater dachte er, der wie er selbst die Sonne hatte sehen wollen.
    Monatelang hatte er seine Mutter mit Fragen nach Cassiel gelöchert, wie er aussah, wie er war. Aber so sehr er sich auch bemühte, es war ihm nie gelungen, sich mit ihm verbunden zu fühlen. Jetzt jedoch, nachdem er wusste, wie er gestorben war, hatte er das Gefühl, dass sich ein schwacher Spinnenfaden zwischen ihnen spannte. Er war nur ein Knirps, aber er hatte die Sonne sehen wollen, genauso wie sein Vater.
    Nach einem spektakulären Sturzflug schnappte er nach Luft, als er einen Hauch fühlte, sich umschaute und sah, wie sich Frieda neben ihm niederließ.
    „Erzähl mir von der Sonne“, sagte sie.
    Seine Zunge fühlte sich schwer an. Die Erste unter den Ältesten der Kolonie blickte ihn durchdringend an. Ihre Flügel raschelten, als sie sie am Körper zusammenfaltete, und er bemerkte, dass sie einen etwas muffigen Geruch verströmte. Den Geruch des Alters, dachte er. Aber sie lächelte ihn an, um die Augen bekam ihr Gesicht Falten, und Schattens Angst ließ nach.
    „Nun, ich habe sie gesehen“, begann er zögernd, dann fuhr er stolpernd fort und erzählte ihr alles, woran er sich erinnern konnte. Es war nicht viel, aber er wollte es unbedingt mitteilen, genoss es richtig. Seine Mutter interessierte sich offenbar nicht dafür. Frieda aber hörte aufmerksam zu und nickte dann und wann.
    „Du hast sie auch gesehen, nicht wahr?“, fragte er ohne zu überlegen.
    „Du hast Recht, ich habe sie gesehen. Vor langer Zeit.“
    „Sie ist
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