Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
anderen auf der Tasche liegen. Was will er hier, wird man sagen. Wäre er doch in Rußland geblieben! Jetzt müssen wir ihn miternähren, von unseren Steuergeldern! Erinnert sich nach vierunddreißig Jahren daran, daß er Deutscher ist. So ein blöder Hund!« Konopjow beugte sich etwas vor. Sein Kinn hing ihm über den Kragen. Trotz der Hitze, die über Moskau brütete und die Luft über dem Asphalt in fluktuierendes Gas verwandelte, trug er korrekt ein geschlossenes Hemd und einen Schlips mit dickem Knoten. »Sie werden ein Aussätziger sein, Kyrill Semjonowitsch! Der goldene Westen hat kein Herz, kein Herz für Menschen wie Sie! Sie kommen als alter Mann in ein Land zurück, das Sie nicht mehr kennen! Alles hat sich verändert, alles! Wer nicht mehr brauchbar ist im Arbeitsprozeß, der ist weniger wert als ein krummer Nagel! Kennt man noch eine Seele? Ha, nein! Wo sonst das Gewissen sitzt, klebt ein Geldschein! Was Freiheit ist, wird von Beamten bestimmt. Ich weiß, was Sie jetzt denken! Ich seh's an Ihren Augen! ›Genau wie hier‹ … stimmt's?«
    »Das haben Sie gesagt, Genosse Konopjow!« antwortete Kuehenberg vorsichtig.
    »Wir sind unter uns! Ich frage Sie: Was ist besser im Westen? Glauben Sie, man zahlt Ihnen eine Offizierspension?«
    »Das wird sich zeigen.«
    »Vieles wird sich zeigen. Vor allem, daß es ein Irrtum war, Rußland zu verlassen. Haben Sie sich hier nie wohl gefühlt?«
    Kuehenberg nickte. Er legte den Arm um seine Frau und seine Tochter und zog sie an sich. Ein schönes Bild war's. Eine Familie, auf die man stolz sein konnte. So hatte er sicherlich oft in seinem Gärtchen gestanden, draußen, in den neuen Wohngebieten rund um Moskau, wo man in den Wäldern große Flecken rodete und kleine, einfache, saubere Häuschen baute, die man an gute Beamte und bewährte Genossen vermietete. Hatte in die Sonne geblickt und über seinen Garten mit den Kirschen und dem Gemüse und war glücklich gewesen.
    »Ich liebe Rußland!« sagte Kuehenberg. »Es tut mir weh, es zu verlassen.«
    »Und trotzdem?!« schnaufte Konopjow. »Sie sind krank, Genosse. Seelisch krank.«
    »Im Leben eines Menschen kommt einmal der Zeitpunkt, an dem er das sein möchte, was er ist. Bei den meisten bleibt es eine Sehnsucht – sie leben weiter als das, was sie geworden sind. Ich aber habe die Möglichkeit, wieder ein Deutscher zu sein. Soll ich die Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen?«
    »Sie sind ein dummer Mensch, Boranow!« Konopjow knallte einen Stempel auf ein Papier, das schon viele Stempel trug. Es mußte ein wichtiges Dokument sein, denn je mehr Stempel ein Papier trug, um so ehrfurchterregender war es. »Wissen Sie, was das war?«
    »Ein Stempel!«
    »Ihr Tod als Russe! Jetzt sind Sie ein Nichts, bis die Deutschen Sie anerkennen. Dieser Stempel – rum! – löscht Sie aus. Es gibt keinen Kyrill Semjonowitsch Boranow mehr! Ihr neuer Name Asgard Kuehenberg ist bedingt amtlich … Er ist von Ihnen angegeben, aber nicht nachprüfbar, von Ihrer Regierung nur vage bestätigt! Ab sofort sind Sie und Ihre Familie eine Null!« Konopjow schob Kuehenberg die Reisepapiere über den Tisch. »Wie fühlen Sie sich jetzt?«
    »Miserabel. Ich gebe es zu.« Kuehenberg raffte die Papiere zusammen und steckte sie in die Tasche seines Rockes. »Sind alle Formalitäten damit erledigt?«
    »Alles erledigt.«
    »Wann können wir ausreisen?«
    »Morgen früh. Vom Leningrader Bahnhof. Gleis 3. Der letzte Wagen ist für die neuentdeckten Deutschen reserviert!« Konopjow hüstelte und lehnte sich zurück. »Eine Rückkehr gibt es nicht.«
    »Das ist mir klar!«
    »Dann gehen Sie endlich!« sagte Konopjow laut und scharf. »Treten Sie Ihr geliebtes Rußland in den Arsch! Mich tröstet, daß man Sie im Westen bis zu Ihrem Lebensende ununterbrochen in den Arsch treten wird!«
    Das war vor vier Tagen gewesen.
    Nun fuhren sie durch das ersehnte Deutschland, auf Bebra zu, wo sie umgekoppelt werden sollten an einen Zug in Richtung Göttingen, um in Friedland auszusteigen. Der alte Mann am Fenster, es war der Bauer Herbert Zimmermann, der sieben Jahre gegen die Behörden um seine Aussiedlung gekämpft hatte, weinte noch immer. Er konnte es einfach nicht fassen, endlich in dem Land zu sein, aus dem die Zimmermanns vor knapp einhundert Jahren ausgewandert waren an die Wolga. Auch Kuehenberg mit Lyra, seiner Frau, und Tamara, seiner Tochter, stand am Fenster seines Abteils und blickte auf die vorbeifliegende Landschaft.
    »Dein Land ist schön
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher