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Sie und Allan

Sie und Allan

Titel: Sie und Allan
Autoren: Henry Rider Haggard
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allem Anschein nach ein unverständiges Kind, wie sie es gewesen war, seit sie in Kôr aus ihrer Trance erwachte. Am nächsten Morgen jedoch kam Hans zu mir gelaufen, um mir zu sagen, daß sie völlig verändert sei und mit mir zu sprechen wünsche. Ich ging ins Haus und fand sie im Wohnzimmer sitzend, in einem europäischen Kleid, das sie aus ihrem Garderobenschrank genommen hatte. Sie war wieder eine erwachsene, intelligente Frau.
    »Mr. Quatermain«, sagte sie, »ich vermute, daß ich sehr krank gewesen bin, denn das letzte, woran ich mich erinnere, ist, daß ich schlief, nachdem Sie auf die Flußpferdjagd gegangen waren. Wo ist mein Vater? Ist ihm etwas zugestoßen, während er mit Ihnen auf der Jagd war?«
    »Leider«, antwortete ich mit einer bewußten Lüge, da ich fürchtete, daß die Wahrheit ihr wieder den Verstand verwirren würde. »Er wurde von einem Flußpferdbullen zertrampelt, und wir mußten ihn dort begraben, wo er getötet wurde.«
    Sie senkte den Kopf und murmelte ein Gebet für seine Seele, dann blickte sie auf und sah mich aufmerksam an. »Ich glaube nicht, daß Sie mir alles sagen, Mr. Quatermain, doch irgend etwas verrät mir, daß Sie das nur tun, weil es nicht gut für mich ist, alles zu erfahren.«
    »Nein«, antwortete ich. »Sie sind sehr lange krank und Ihrer Umwelt nicht bewußt gewesen; irgend etwas hat Sie in einen Schockzustand versetzt. Ich glaube, daß man Ihnen vom Tod Ihres Vaters berichtet hat, was Sie dann vergessen haben, da diese Mitteilung Sie so erschüttert hat. Bitte vertrauen Sie mir, und glauben Sie mir, daß ich, wenn ich irgend etwas vor Ihnen zurückhalten sollte, es für Ihren derzeitigen Zustand so am besten ist.«
    »Ich vertraue und glaube Ihnen«, antwortete sie. »Doch jetzt lassen Sie mich bitte allein, aber sagen Sie mir zuvor, wo die Frauen und ihre Kinder geblieben sind.«
    »Nach dem Tod Ihres Vaters sind sie fortgegangen«, sagte ich und log noch einmal.
    Sie blickte mich wieder an, sagte jedoch nichts.
    Dann verließ ich sie.
     
    Wieviel Inez jemals von den Abenteuern, die sie erlebt hatte, erfuhr, weiß ich bis heute nicht, doch nehme ich an, nur sehr wenig. Einmal wurde allen, einschließlich Thomaso die schlimmsten Konsequenzen angedroht, falls sie ihr gegenüber auch nur ein Wort zu diesem Thema fallen lassen würden; außerdem war sie eine auf ihre Art intelligente Frau, die wußte, wann es besser war, keine Fragen zu stellen. Es war ihr klar, daß sie eine lange Periode irgendeiner geistigen Verwirrung oder des Wahnsinns hinter sich hatte, und daß während dieser Zeit ihr Vater gestorben war und verschiedene andere Dinge geschehen waren. Damit fand sie sich ab und sprach während der ganzen Zeit nie wieder mit mir über dieses Thema. Ich war sehr froh darüber, denn wie, um alles in der Welt, hätte ich ihr von Ayeshas Prophezeiungen berichten sollen, daß sie aus einem kindlichen Zustand wieder zu ihrem normalen Selbst zurückkehren würde, wenn sie ihr Haus erreichte, da ich es ja nicht einmal selbst verstand?
    Einmal fragte sie allerdings, was aus Janee geworden sei, worauf ich ihr antwortete, daß sie während ihrer, Inez', Krankheit gestorben sei. Das war wieder eine Lüge, zumindest durch Implikation, doch bin ich der Ansicht, daß es Situationen gibt, in denen Lügen gerechtfertigt sind. Zumindest haben diese mein Gewissen nie belastet.
    An dieser Stelle sollte ich vielleicht die Geschichte von Inez zu Ende bringen, das heißt, so weit mir das möglich ist. Wie ich schon hinlänglich gezeigt zu haben glaube, war sie immer eine Frau melancholischer und religiöser Natur, und beide Neigungen schienen sich nach ihrer Gesundung noch zu verstärken. Auf jeden Fall tat es die religiöse, da sie ständig in Gebet versunken war, eine Entwicklung, die erblich bedingt sein mochte, da ihr Vater, nachdem er seinen Schock erlitten hatte und seinen Verstand verlor, denselben Weg gegangen war.
    Bei unserer Rückkehr in die Zivilisation war zufällig einer der ersten Menschen, denen sie begegnete, ein sehr ernsthafter und gebildeter alter Priester ihres Glaubens. Das Resultat dieser Begegnung war, wie vielleicht voraussehbar, daß sie der Welt entsagte, die ihr, wie ich glaube, ohnehin nicht viel geboten hatte, und als Nonne in einen extrem strengen Orden in Natal eintrat, dem sie, von ihren anderen Qualitäten abgesehen, schon wegen ihrer erheblichen Besitztümer herzlich willkommen war.
    Viel später habe ich sie noch einmal wiedergesehen, kurz bevor
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