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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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der Bauer vermutlich in diesem Moment. Ich konnte dem Bauern nicht helfen.
    Zu meiner Überraschung tastete ich einen normalen und kräftigen Puls am Handgelenk des Bikers in der Zugmaschine. Er sah aus, als hätte man ihn in perfekter Klappmesserstellung hineinzementiert.
    »Er lebt noch«, erwiderte ich auf die erste Frage des Zeugen.
    »Unglaublich.«
    Ich legte dem Biker einen Zugang und wartete. In weiter Entfernung hörte ich das Martinshorn der Feuerwehr. Endlich. Der Duft von Gras und Bäumen vermischte sich mit dem Gestank geplatzter Motoren.
    Der Feuerwehrkommandant staunte nicht schlecht, als ich ihm vom Zustand des Motorradfahrers berichtete, und dass dieser noch leben würde. Er wies seine Truppe sofort an, mit der Rettung des Mannes zu beginnen. Zwei Männer griffen sich den Spreizer und legten am Traktor an, der unter Knirschen und Krachen auseinanderbog und immer mehr vom Biker freigab.
    Nach fünf weiteren Minuten Untätigkeit meinerseits war der Mann befreit. Die Feuerwehrleute legten ihn ins Gras neben die Landstraße. Seine Schutzreflexe waren erloschen, aber ich war vorbereitet. Ich stellte einen Absauger bereit, intubierte den Motorradfahrer und legte ihm einen weiteren großvolumigen Zugang, um den Blutverlust auszugleichen. Meine Rettungsschere glitt durch den Motorradanzug wie eine Hand durch Wasser. Auf der anderen Straßenseite hatte sich mittlerweile ein Pulk Menschen angesammelt. Eine alte Frau mit Kopftuch bekreuzigte sich.
    Als ich zum ersten Biker hinübersah, deckten sie ihn gerade zu. Das Tuch flatterte im Wind. Nur ein Arm war noch zu sehen, der nicht unter dem Laken bleiben wollte. André stand reglos da und blickte ins Nichts.
    Nun hielt der nachgeforderte Rettungswagen neben mir. Micha und Petra stiegen aus.
    »Thoraxdrainage?«, fragte Micha.
    »Ja. Ich warte nur auf Erwin. Hab schon alles vorbereitet. Er hat einen guten Kreislauf.«
    »Alles klar. Ich kümmer mich um den Bauern. Wenn du mich brauchst, ruf mich.«
    Erwin kniete sich neben den Biker und platzierte auch diese Thoraxdrainage perfekt im Brustkorb des Mannes. Der Absauger förderte eine Menge Blut zutage. Zu viel, um zu überleben, dachte ich und hörte das entfernte Klopfen des Helikopters, einer zitronengelben BK 117 mit der schwarzen Aufschrift »Notarzt – Rettungshubschrauber«.
    Er ging direkt neben uns auf der Landstraße herunter und wehte Kieselsteinchen, Äste und Staub in unsere Richtung. Die Menschen auf der anderen Straßenseite hielten sich Sachen vor ihr Gesicht.
    »Seid ihr fertig?«, fragte der Notarzt des Hubschraubers.
    »Ja, wir können.«
    Der Verletzte wurde auf eine mit vielen tausend Styroporkügelchen gefüllte Vakuummatratze gelagert, die sich wie eine gegossene Schale an den Körper anpasste, sobald die Luft herausgesaugt war. Als wir den Mann in den Helikopter hineinschoben, sah ich den Bauern weinend im Gras sitzen. Micha war bei ihm, und ein Polizeibeamter stand daneben und schrieb seinen Karoblock voll.
    Kurz darauf trat ich neben Lenny und betrachtete den toten Mann, dessen Hand bereits weiß und blutleer war.
    »Diese Verrückten ...«
    »Dieser Tag ist doch viel zu schön, um zu sterben«, meinte Lenny und zog an einem Zigarillo. »Später stehen hier dann wieder Holzkreuze. Und jedes Mal, wenn wir vorbeifahren, werden wir uns an den Einsatz erinnern.«
    Schließlich packten wir unsere Sachen zusammen und verließen die Einsatzstelle in Richtung Rettungswache, wo meine Suppe längst kalt geworden war.
    So begann der Sanitäterfrühling in jenem Jahr. Sehr spät, aber dafür mit einem Knall. Der Gutachter stellte später fest, dass die Biker zum Zeitpunkt des Aufschlags auf der Landstraße eine Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern auf dem Tacho gehabt hatten. Der Bauer, der sich schließlich auf einer Abbiegespur befand, konnte nichts dafür. Die Fahrbahnteilung konnte man bei der Geschwindigkeit durch das Visier eines Motorradhelmes natürlich nicht sehen.
    Nach einiger Zeit wurden hier übrigens tatsächlich Kreuze aufgestellt, die als warnendes Beispiel dienen sollten. Thomas, 30 Jahre alt, und Manuel, 31 Jahre alt. Ein Rosenkranz hing an einem der beiden Bilder, welche die Biker in ihren schwarzen Anzügen zeigten.
    »Wolltest du nicht auch mal den Motorradführerschein machen?«, hatte Lenny nach dem Einsatz in der Wache gefragt und nichts als Schweigen geerntet. Genau wie Lenny habe ich den Lappen niemals gemacht.

Fernsehrettung
    Lenny und ich saßen eines Nachtdienstes
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