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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel
Autoren: Frank S Becker
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würde er wohl einst dessen Nachfolge antreten. Doch ließ er sich diese Sonderstellung nicht anmerken, nur sein gewinnendes Auftreten und seine natürliche Autorität verrieten, dass er aus einer Herrscherfamilie stammte. Mit Padraich verband ihn bald eine tiefe Freundschaft, so dass es Pater Eirenäus einrichtete, dass sie die gleiche Zelle teilen durften.
    ***
    Eines Tages, als Padraich gebeugt über einem Stapel Pergamentblätter saß, um sie auf das richtige Format für Buchseiten zu schneiden, vernahm er hinter sich die schlurfenden Schritte Ultans.
    »Nimm, deinen Griffel und komm mit«, hörte er den Leiter des Skriptoriums sagen, »wir wollen ein neues Buch beginnen.« Er sah verwundert auf und erblickte neben dem verwachsenen Männlein seinen Freund Kilian, der einen Stapel mit Wachs beschichteter Holztafeln trug.
    »Wir dürfen selbst ein Buch kopieren?«, fragte Padraich ungläubig, während sie den Hof überquerten und sich einem der Kegelhäuser näherten, das neben der Wohnung des Abtes lag. »Was für eines?«
    »Nichts wird kopiert«, knurrte Ultan, »wir machen ein neues Buch.«
    »Ein neues Buch? Worum geht es darin?«, wollte nun Kilian wissen.
    »Ihr mit eurer Fragerei«, seufzte Ultan und schüttelte den Kopf. »In den nächsten Tagen werdet ihr genau das notieren, was euch Bruder Grellan erzählt. Er ist über achtzig und sein Geist weilt manchmal weit weg. Vor vielen Jahren hat er ein Schweigegelübde abgelegt und lange als Einsiedler gelebt.« Ultan blieb stehen und sah die Jungen an. »Doch jetzt ist er zu schwach geworden, und Bruder Eirenäus hat ihn dazu bewegen können, zu uns ins Kloster zu kommen. Gestern Abend ließ Bruder Grellan den Abt wissen, dass er uns die Geschichte des heiligen Brendan anvertrauen möchte, den er selbst noch gekannt hat. Fragt ruhig nach, wenn ihr etwas nicht versteht.« Der Mann ging weiter und hob den tintenfleckigen Finger. »Später wird es ins Reine geschrieben und mit Bildern versehen. Aber das machen unsere besten Buchmaler, nicht die Novizen.«
    Padraich umklammerte seinen Griffel. Brendan – war das nicht der Heilige, über den solch seltsame Geschichten unter den Mönchen kursierten? Als sie das Kegelhaus erreicht hatten, die Türe aufstießen und ins Innere traten, war Padraich für die Dauer einiger Herzschläge fast blind, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Innen gab es nur eine mit Stroh aufgeschüttete Schlafstelle, unter einer Wolldecke zeichnete sich eine menschliche Gestalt ab. Daneben stand eine abgewetzte Bank.
    »Bruder Grellan«, die Stimme Ultans hallte so laut, dass Padraich zusammenzuckte. »Hier sind die zwei Novizen, die deinen Bericht aufschreiben werden.«
    Ein schwaches Husten war die Antwort, dann richtete sich die Gestalt auf. In den Lichtkegel, der durch die Türe in den kleinen Raum fiel, schien sich ein Totenschädel zu schieben, von altersfleckiger Haut überspannt. Vom Hinterkopf hingen einige weiße Haarfäden, die Augen lagen tief in den Höhlen. Eine Hand mit klauenartig verkrümmten Fingern wies auf die Bank. Der von Runzeln umgebene Mund öffnete sich zu einem Lächeln und gab zahnlose Schwärze frei.
    »Setzt euch.«
    Beim Anblick des alten Mönchs begann Padraich plötzlich zu zittern, er ergriff unwillkürlich Kilians Arm und blickte sich nach Ultan um. Doch der hatte die kleine Zelle bereits verlassen. Kilian sah ihn erstaunt an und fragte, ob ihm nicht wohl sei, doch Padraich winkte ab und atmete tief durch. Dann rückten die Jungen die Bank so an den Eingang, dass Licht auf die Schreibtafeln fiel. »Wir sind bereit, Bruder Grellan.«
    »Wie alt seid ihr?«, fragte der Mönch. Seine Stimme kratzte, als würde langsam ein Stück Pergament zerrissen.
    »Ich bin sechzehn und Kilian achtzehn«, antwortete Padraich befangen.
    »Dann war ich damals fast so alt, wie ihr es jetzt seid. Und heute …«, die zittrige Stimme wurde leise, fast beschwörend, »bin ich selbst fast so alt, wie er damals war.«
    »Wer, Bruder Grellan?«, erkundigte sich Kilian neugierig.
    »Brendan, der Seefahrer. Gott gewährte mir die Gnade, ihn noch gekannt zu haben. Damals, in Clonfert, wo er später auch begraben wurde. Alles, was ich euch erzähle, habe ich aus seinem eigenen Mund erfahren. Vor vielen Jahrzehnten hat er es mir erzählt, in meiner Jugend. Als mein Gesicht noch nicht faltig war, meine Augen noch nicht trübe und mein Geist noch nicht erschöpft.«
    »Meint ihr wirklich den heiligen Brendan?«, fragte
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