Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Siddhartha plötzlich eines Wortes gedenken, das Kamala vor Zeiten, in den Tagen der Jugend, einmal zu ihm gesagt hatte. »Du kannst nicht lieben«, hatte sie ihm gesagt, und er hatte ihr recht gegeben und hatte sich mit einem Stern, die Kindermenschen aber mit fallendem Laub verglichen, und dennoch hatte er in jenem Wort auch einen Vorwurf gespürt. In der Tat hatte er niemals sich an einen anderen Menschen ganz verlieren und hingeben können, sich selbst vergessen, Torheiten der Liebe eines anderen wegen begehen; nie hatte er das gekonnt, und dies war, wie ihm damals schien, der grosse Unterschied gewesen, der ihn von den Kindermenschen trennte. Nun aber, seit sein Sohn da war, nun war auch er, Siddhartha, vollends ein Kindermensch geworden, eines Menschen wegen leidend, einen Menschen liebend, an eine Liebe verloren, einer Liebe wegen ein Tor geworden. Nun fühlte auch er, spät, einmal im Leben diese stärkste und seltsamste Leidenschaft, litt an ihr, litt kläglich, und war doch beseligt, war doch um etwas erneuert, um etwas reicher.
    Wohl spürte er, dass diese Liebe, diese blinde Liebe zu seinem Sohn eine Leidenschaft, etwas sehr Menschliches, dass sie Sansara sei, eine trübe Quelle, ein dunkles Wasser. Dennoch, so fühlte er gleichzeitig, war sie nicht wertlos, war sie notwendig, kam aus seinem eigenen Wesen. Auch diese Lust wollte gebüsst, auch diese Schmerzen wollten gekostet sein, auch diese Torheiten begangen.
    Der Sohn indessen liess ihn seine Torheiten begehen, liess ihn werben, liess ihn täglich sich vor seinen Launen demütigen. Dieser Vater hatte nichts, was ihn entzückt, und nichts, was er gefürchtet hätte. Er war ein guter Mann, dieser Vater, ein guter, gütiger, sanfter Mann, vielleicht ein sehr frommer Mann, vielleicht ein Heiliger - dies alles waren nicht Eigenschaften, welche den Knaben gewinnen konnten. Langweilig war ihm dieser Vater, der ihn da in seiner elenden Hütte gefangen hielt, langweilig war er ihm, und dass er jede Unart mit Lächeln, jeden Schimpf mit Freundlichkeit, jede Bosheit mit Güte beantwortete, das eben war die verhassteste List dieses alten Schleichers. Viel lieber wäre der Knabe von ihm bedroht, von ihm misshandelt worden.
    Es kam ein Tag, an welchem des jungen Siddhartha Sinn zum Ausbruch kam und sich offen gegen seinen Vater wandte. Der hatte ihm einen Auftrag erteilt, er hatte ihn Reisig sammeln geheissen. Der Knabe ging aber nicht aus der Hütte, er blieb trotzig und wütend stehen, stampfte den Boden, ballte die Fäuste, und schrie in gewaltigem Ausbruch seinem Vater Hass und Verachtung ins Gesicht.
    »Hole du selber dein Reisig!« rief er schäumend, »ich bin nicht dein Knecht. Ich weiss ja, dass du mich nicht schlägst, du wagst es ja nicht; ich weiss ja, dass du mich mit deiner Frömmigkeit und deiner Nachsicht beständig strafen und klein machen willst. Du willst, dass ich werden soll wie du, auch so fromm, auch so sanft, auch so weise! Ich aber, höre, ich will, dir zu Leide, lieber ein Strassenräuber und Mörder werden und zur Hölle fahren, als so werden wie du! Ich hasse dich, du bist nicht mein Vater, und wenn du zehnmal meiner Mutter Buhler gewesen bist!«
    Zorn und Gram liefen in ihm über, schäumten in hundert wüsten und bösen Worten dem Vater entgegen. Dann lief der Knabe davon und kam erst spät am Abend wieder. Am andern Morgen aber war er verschwunden. Verschwunden war auch ein kleiner, aus zweifarbigem Bast geflochtener Korb, in welchem die Fährleute jene Kupfer-und Silbermünzen aufbewahrten, welche sie als Fährlohn erhielten. Verschwunden war auch das Boot, Siddhartha sah es am jenseitigen Ufer liegen. Der Knabe war entlaufen.
    »Ich muss ihm folgen«, sagte Siddhartha, der seit jenen gestrigen Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. »Ein Kind kann nicht allein durch den Wald gehen. Er wird umkommen. Wir müssen ein Floss bauen, Vasudeva, um übers Wasser zu kommen.«
    »Wir werden ein Floss bauen«, sagte Vasudeva, »um unser Boot wieder zu holen, das der Junge entführt hat. Ihn aber solltest du laufen lassen, Freund, er ist kein Kind mehr, er weiss sich zu helfen. Er sucht den Weg nach der Stadt, und er hat recht, vergiss das nicht. Er tut das, was du selbst zu tun versäumt hast. Er sorgt für sich, er geht seine Bahn. Ach, Siddhartha, ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen, über die man lachen möchte, über die du selbst bald lachen wirst.«
    Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in Händen, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher