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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta
Autoren: Hermann Hesse
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Einzige, der All-Eine? Waren nicht die Götter Gestaltungen, erschaffen wie ich und du, der Zeit untenan, vergänglich?
    War es also gut, war es richtig, war es ein sinnvolles und höchstes Tun, den Göttern in zu opfern? Wem anders war zu opfern, wem anders war Verehrung darzubringen als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im eigenen Ich, im Innersten, im Unzerstörbaren, das ein jeder in sich trug? Aber wo, wo war dies Ich, dies Innerste, dies Letzte? Es war nicht Fleisch und Bein, es war nicht Denken noch Bewusstsein, so lehrten die Weisesten. Wo, wo also war es? Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman, - gab es einen andern Weg, den zu suchen sich lohnte? Ach, und niemand zeigte diesen Weg, niemand wusste ihn, nicht der Vater nicht die Lehrer und Weisen, nicht die heiligen Opfergesänge! Alles wussten sie, die Brahmanen und ihre heiligen Bücher, alles wussten sie, um alles hatten sie sich gekümmert und um mehr als alles, die Erschaffung der Welt, die Entstehung der Rede, der Speise, des Einatmens, des Ausatmens, die Ordnungen der Sinne, die Taten der Götter - unendlich vieles wussten sie - aber war es wertvoll, dies alles zu wissen, wenn man das Eine und Einzige nicht wusste, das Wichtigste, das allein Wichtige?
    Gewiss, viele Verse der heiligen Bücher, zumal in den Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten, herrliche Verse. »Deine Seele ist die ganze Welt«, stand da geschrieben, und geschrieben stand, dass der Mensch im Schlafe, im Tiefschlaf, zu seinem Innersten eingehe und im Atman wohne. Wunderbare Weisheit stand in diesen Versen, alles Wissen der Weisesten stand hier in magischen Worten gesammelt, rein wie von Bienen gesammelter Honig. Nein, nicht gering zu achten war das Ungeheure an Erkenntnis, das hier von unzählbaren Geschlechterfolgen weiser Brahmanen gesammelt und bewahrt lag. Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder Büsser, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht bloss zu wissen, sondern zu leben? Wo war der Kundige, der das Daheimsein im Atman aus dem Schlafe herüberzauberte ins Wachsein, in das Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? Viele ehrwürdige Brahmanen kannte Siddhartha, seinen Vater vor allen, den Reinen, den Gelehrten, den höchst Ehrwürdigen. Zu bewundern war sein Vater, still und edel war sein Gehaben, rein sein Leben, weise sein Wort, feine und adlige Gedanken wohnten in seiner Stirn - aber auch er, der so viel Wissende, lebte er denn in Seligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein Dürstender? Musste er nicht immer und immer wieder an heiligen Quellen, ein Durstender, trinken, am Opfer, an den Büchern, an der Wechselrede der Brahmanen?
    Warum musste er, der Untadelige, jeden Tag Sünde abwaschen, jeden Tag sich um Reinigung bemühen, jeden Tag von neuem? War denn nicht Atman in ihm, floss denn nicht in seinem eigenen Herzen der Urquell? Ihn musste man finden, den Urquell im eigenen Ich, ihn musste man zu eigen haben! Alles andre war Suchen, war Umweg, war Verirrung. So waren Siddharthas Gedanken, dies war sein Durst, dies sein Leiden.
    Oft sprach er aus einem Chandogya-Upanishad sich die Worte vor: »Fürwahr, der Name des Brahman ist Satyam wahrlich, wer solches weiss, der geht täglich ein in die himmlischen Welt. Oft schien sie nahe, die himmlische Welt, aber niemals hatte er sie ganz erreicht, nie den letzten Durst gestillt. Und von allen Weisen und Weisesten, die er kannte und deren Belehrung er genoss, von ihnen allen war keiner, der sie ganz erreicht hatte, die himmlische Welt, der ihn ganz gelöscht hatte, den ewigen Durst.
    „ Govind a “, sprach Siddhartha zu seinem Freunde, »Govinda, Lieber, komm mit mir unter den Banyanenbaum, wir wollen der Versenkung pflegen.«
    Sie gingen zum Banyanenbaum, sie setzten sich nieder, hier Siddhartha, zwanzig Schritte weiter Govinda. Indem er sich niedersetzte, bereit, das Om zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers:

    »Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele,
    Das Brahman ist des Pfeiles Ziel,
    Das soll man unentwegt treffen . «

    Als die gewohnte Zeit der Versenkungsübung hingegangen war erhob sich Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde vorzunehmen .Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort. Siddhartha sass versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel gerichtet, seine
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