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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta
Autoren: Hermann Hesse
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sass die Nacht vor der Hütte, dem Flusse lauschend, von Vergangenheit umspült, von allen Zeiten seines Lebens zugleich berührt und umfangen. Zuweilen aber erhob er sich, trat an die Hüttentür und lauschte, ob der Knabe schlafe. Früh am Morgen, noch ehe die Sonne sichtbar ward, kam Vasudeva aus dem Stalle und trat zu seinem Freunde.
    »Du hast nicht geschlafen«, sagte er.
    »Nein, Vasudeva. Ich sass hier, ich hörte dem Flusse zu. Viel hat er mir gesagt, tief hat er mich mit dem heilsamen Gedanken erfüllt, mit dem Gedanken der Einheit.«
    »Du hast Leid erfahren, Siddhartha, doch ich sehe, es ist keine Traurigkeit in dein Herz gekommen.«
    »Nein, Lieber, wie sollte ich denn traurig sein? Ich, der ich reich und glücklich war, bin jetzt noch reicher und glücklicher geworden. Mein Sohn ist mir geschenkt worden.«
    »Willkommen sei dein Sohn auch mir. Nun aber, Siddhartha, lass uns an die Arbeit gehen, viel ist zu tun. Auf demselben Lager ist Kamala gestorben, auf welchem einst mein Weib gestorben ist. Auf demselben Hügel auch wollen wir Kamalas Scheiterhaufen bauen, auf welchem ich einst meines Weibes Scheiterhaufen gebaut habe.«
    Während der Knabe noch schlief, bauten sie den Scheiterhaufen.

Der Sohn
    Scheu und weinend hatte der Knabe der Bestattung seiner Mutter beigewohnt, finster und scheu hatte er Siddhartha angehört, der ihn als seinen Sohn begrüsste und ihn bei sich in Vasudevas Hütte willkommen hiess. Bleich sass er tagelang am Hügel der Toten, mochte nicht essen, verschloss seinen Blick, verschloss sein Herz, wehrte und sträubte sich gegen das Schicksal.
    Siddhartha schonte ihn und liess ihn gewähren, er ehrte seine Trauer. Siddhartha verstand, dass sein Sohn ihn nicht kenne, dass er ihn nicht lieben könne wie einen Vater. Langsam sah und verstand er auch, dass der Elfjährige ein verwöhnter Knabe war, ein Mutterkind, und in Gewohnheiten des Reichtums aufgewachsen, gewöhnt an feinere Speisen, an ein weiches Bett, gewohnt, Dienern zu befehlen. Siddhartha verstand, dass der Trauernde und Verwöhnte nicht plötzlich und gutwillig in der Fremde und Armut sich zufrieden geben könne. Er zwang ihn nicht, er tat manche Arbeit für ihn, suchte stets den besten Bissen für ihn aus. Langsam hoffte er, ihn zu gewinnen, durch freundliche Geduld. Reich und glücklich hatte er sich genannt, als der Knabe zu ihm gekommen war. Da indessen die Zeit hinfloss, und der Knabe fremd und finster blieb, da er ein stolzes und trotziges Herz zeigte, keine Arbeit tun wollte, den Alten keine Ehrfurcht erwies, Vasudevas Fruchtbäume beraubte, da begann Siddhartha zu verstehen, dass mit seinem Sohne nicht Glück und Friede zu ihm gekommen war, sondern Leid und Sorge. Aber er liebte ihn, und lieber war ihm Leid und Sorge der Liebe, als ihm Glück und Freude ohne den Knaben gewesen war.
    Seit der junge Siddhartha in der Hütte war, hatten die Alten sich die Arbeit geteilt. Vasudeva hatte das Amt des Fährmanns wieder allein übernommen, und Siddhartha, um bei seinem Sohne zu sein, die Arbeit in Hütte und Feld.
    Lange Zeit, lange Monate wartete Siddhartha darauf, dass sein Sohn ihn verstehe, dass er seine Liebe annehme, dass er sie vielleicht erwidere. Lange Monate wartete Vasudeva, zusehend, wartete und schwieg. Eines Tages, als Siddhartha der Junge seinen Vater wieder sehr mit Trotz und Launen gequält und ihm beide Reisschüsseln zerbrochen hatte, nahm Vasudeva seinen Freund am Abend beiseite und sprach mit ihm.
    »Entschuldige mich«, sagte er, »aus freundlichem Herzen rede ich zu dir. Ich sehe, dass du dich quälst, ich sehe, dass du Kummer hast. Dein Sohn, Lieber, macht dir Sorge, und auch mir macht er Sorge. An ein anderes Leben, an ein anderes Nest ist der junge Vogel gewöhnt. Nicht wie du ist er dem Reichtum und der Stadt entlaufen aus Ekel und Überdruss, er hat wider seinen Willen dies alles dahinten lassen müssen. Ich fragte den Fluss, o Freund, viele Male habe ich ihn gefragt. Der Fluss aber lacht, er lacht mich aus, mich und dich lacht er aus, und schüttelt sich über unsre Torheit. Wasser will zu Wasser, Jugend will zu Jugend, dein Sohn ist nicht an dem Orte, wo er gedeihen kann. Frage auch du den Fluss, höre auch du auf ihn!«
    Bekümmert blickte Siddhartha ihm in das freundliche Gesicht, in dessen vielen Runzeln beständige Heiterkeit wohnte.
    »Kann ich mich denn von ihm trennen?« fragte er leise, beschämt. »Lass mir noch Zeit, Lieber! Sieh, ich kämpfe um ihn, ich werbe um sein Herz, mit Liebe
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