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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta
Autoren: Hermann Hesse
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Stimme ihm zu trachten beföhle, bei nichts verweilen, als wo die Stimme es riete. Warum war Gotama einst, in der Stunde der Stunden, unter dem Bö-Baume niedergesessen, wo die Erleuchtung ihn traf? Er hatte eine Stimme gehört, eine Stimme im eigenen Herzen, die ihm befahl, unter diesem Baume Rast zu suchen, und er hatte nicht Kasteiung, Opfer, Bad oder Gebet, nicht Essen noch Trinken, nicht Schlaf noch Traum vorgezogen, er hatte der Stimme gehorcht. So zu gehorchen, nicht äusserm Befehl, nur der Stimme, so bereit zu sein, das war gut, das war notwendig, nichts anderes war notwendig.
    In der Nacht, da er in der strohernen Hütte eines Fährmannes am Flusse schlief, hatte Siddhartha einen Traum: Govinda stand vor ihm, in einem gelben Asketengewand. Traurig sah Govinda aus, traurig fragte er: Warum hast du mich verlassen? Da umarmte er Govinda, schlang seine Arme um ihn, und indem er ihn an seine Brust zog und küsste, war es nicht Govinda mehr, sondern ein Weib, und aus des Weibes Gewand quoll eine volle Brust, an der lag Siddhartha und trank, süss und stark schmeckte die Milch dieser Brust. Sie schmeckte nach Weib und Mann, nach Sonne und Wald, nach Tier und Blume, nach jeder Frucht, nach jeder Lust. Sie machte trunken und bewusstlos. - Als Siddhartha erwachte, schimmerte der bleiche Fluss durch die Tür der Hütte, und im Walde klang tief und Wohllaut ein dunkler Eulenruf. Als der Tag begann, bat Siddhartha seinen Gastgeber, den Fährmann, ihn über den Fluss zu setzen. Der Fährmann setzte ihn auf seinem Bambusfloss über den Fluss, rötlich schimmerte im Morgenschein das breite Wasser.
    »Das ist ein schöner Fluss«, sagte er zu seinem Begleiter.
    »Ja«, sagte der Fährmann, »ein sehr schöner Fluss, ich liebe ihn über alles. Oft habe ich ihm zugehört, oft in seine Augen gesehen, und immer habe ich von ihm gelernt. Man kann viel von einem Flusse lernen.«
    »Ich danke dir, mein Wohltäter«, sprach Siddhartha, da er ans andere Ufer stieg. »Kein Gastgeschenk habe ich dir zu geben, Lieber, und keinen Lohn zu geben. Ein Heimatloser bin ich, ein Brahmanensohn und Samana.«
    »Ich sah es wohl«, sprach der Fährmann, »und ich habe keinen Lohn von dir erwartet, und kein Gastgeschenk. Du wirst mir das Geschenk ein anderes Mal geben.« »Glaubst du?« sagte Siddhartha lustig. »Gewiss. Auch das habe ich vom Flusse gelernt: alles kommt wieder! Auch du, Samana, wirst wiederkommen. Nun lebe wohl! Möge deine Freundschaft mein Lohn sein. Mögest du meiner gedenken, wenn du den Göttern opferst.« Lächelnd schieden sie voneinander. Lächelnd freute sich Siddhartha über die Freundschaft und Freundlichkeit des Fährmanns. »Wie Govinda ist er«, dachte er lächelnd, »alle, die ich auf meinem Wege antreffe, sind wie Govinda. Alle sind dankbar, obwohl sie selbst Anspruch auf Dank hätten. Alle sind unterwürfig, alle mögen gern Freund sein, gern gehorchen, wenig denken. Kinder sind die Menschen.«
    Um die Mittagszeit kam er durch ein Dorf. Vor den Lehmhütten wälzten sich Kinder auf der Gasse, spielten mit Kürbiskernen und Muscheln, schrien und balgten sich, flohen aber alle Scheu vor dem fremden Samana. Am Ende des Dorfes führte der Weg durch einen Bach, und am Rande des Baches kniete ein junges Weib und wusch Kleider. Als Siddhartha sie grüsste, hob sie den Kopf und blickte mit Lächeln zu ihm auf, dass er das Weisse in ihrem Auge blitzen sah. Er rief einen Segensspruch hinüber, wie er unter Reisenden üblich ist, und fragte, wie weit der Weg bis zur grossen Stadt noch sei. Da stand sie auf und trat zu ihm her, schön schimmerte ihr feuchter Mund im jungen Gesicht. Sie tauschte Scherzreden mit ihm, fragte, ob er schon gegessen habe, und ob es wahr sei, dass die Samanas nachts allein im Walde schliefen und keine Frauen bei sich haben dürften. Dabei setzte sie ihren linken Fuss auf seinen rechten und machte eine Bewegung, wie die Frau sie macht, wenn sie den Mann zu jener Art des Liebesgenusses auffordert, welchen die Lehrbücher »das Baumbesteigen« nennen. Siddhartha fühlte sein Blut erwarmen, und da sein Traum ihm in diesem Augenblick wieder einfiel, bückte er sich ein wenig zu dem Weibe herab und küsste mit den Lippen die braune Spitze ihrer Brust. Aufschauend sah er ihr Gesicht voll Verlangen lächeln und die verkleinerten Augen in Sehnsucht flehen.
    Auch Siddhartha fühlte Sehnsucht und den Quell des Geschlechts sich bewegen; da er aber noch nie ein Weib berührt hatte, zögerte er einen Augenblick,
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