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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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Adreßbuch auf die Metallplatte der Telefonbücher und wählte Bernards Nummer. Ich hörte im Hörer, wie es in der Ferne rollend läutete, und nach einer Weile merkte ich, daß abgenommen wurde. Ich erkannte sofort die Stimme Bernards, der immer leise, gesetzt sprach, wie ein ständiges gedämpftes Flüstern, was seinen Äußerungen eine große Verführungskraft verlieh, so man sie hörte. Ich sagte ihm, daß ich in Kioto sei, und er schien nicht übermäßig überrascht. Ich dachte, er würde mich fragen, ob ich mit Marie da sei, aber nein, er sprach nicht von Marie, vielleicht aus Scheu oder aus Gleichgültigkeit, er fragte mich nur, in welchem Hotel ich abgestiegen sei. Ich sagte, daß ich gerade angekommen sei und noch nicht wisse, wo, und er bot mir an, zu ihm nach Hause zum Essen zu kommen und sogar da zu schlafen, wenn ich wollte, er sagte, er könne mich einige Tage beherbergen. Ich dankte ihm, ich war verwirrt (bist du sicher, daß es dich nicht stört, sagte ich ihm, und er fragte mich lediglich, mit einer Stimme, aus der ein Lächeln hervorbrach, ob ich erkältet sei).
    Ich nahm ein Taxi und nannte dem Fahrer mit meiner nasalen Stimme (die mir vielleicht endlich den japanischen Akzent verlieh) nicht die Adresse von Bernard, sondern den Namen der nächstgelegenen U-Bahnstation. Nachdem das Taxi mich vor der U-Bahnstation abgesetzt hatte, blieb ich am Straßenrand stehen, meine Reisetasche in der Hand. Es war stockdunkel, es nieselte. Es gab mehrere U-Bahnausgänge, und Bernard hatte mir nicht näher erklärt, an welchem wir uns treffen sollten, aber da ich vor einigen Jahren schon einmal dort gewesen war, erkannte ich die Örtlichkeit vage wieder, meinem Gefühl nach war es eine kleine Straße, die rechts neben dem blauweiß erleuchteten Senkkasten der Station zu sehen war, aus der heraus ich ihn würde auftauchen sehen. Tatsächlich erschien er gleichsam in Verlängerung meines Gedankens, kam unter einem Regenschirm aus der kleinen Straße und schaute bedächtig um sich, suchte mit den Augen den Horizont ab. Er sah mich, überquerte die Straße und begrüßte mich mit seiner sanften gleichförmigen Stimme. Wir machten uns auf den Weg, und er schlug mir vor, in einem Kaufhaus in der Nähe einiges fürs Abendessen einzukaufen. Im Untergeschoß des Kaufhauses, während wir vor der Tiefkühlabteilung minimalste Informationen austauschten (das war jetzt drei Jahre her, daß wir uns nicht gesehen hatten), wählte er Koteletts und fragte mich, was ich trinken wolle. Zu den Koteletts vielleicht Rotwein, fügte er leise hinzu. Ja, vielleicht, sagte ich. Vielleicht. Ich ließ ihn eine Flasche Rotwein wählen, einen Médoc, er füllte seinen Einkaufskorb weiter mit diversen Artikeln, ebenfalls für das Frühstück am nächsten Morgen, Kaffee, geschnittenes Toastbrot, Orangenmarmelade. Der einzige Wunsch, den ich äußerte, bevor wir das Kaufhaus verließen, war, Pilze zu kaufen, verschiedene Sorten von Pilzen in eingeschweißten Körbchen, als Sträuße von winzigen Köpfen oder mit großen Lamellen wie Pfifferlinge. Mir war nach Pilzen. Einfach so.
    Bernard bewohnte ein traditionelles japanisches Haus, aus Holz, einstöckig. Nachdem man einen kleinen Außenhof durchquert hatte, wo im Halbschatten eines Mauersturzes ein Fahrrad lehnte, gelangte man in die Küche, einem großen Raum mit Betonboden, der an das Hauptzimmer grenzte. Nachdem wir die Schuhe ausgezogen hatten, stiegen wir zwei Stufen hoch, immer noch im Mantel, wobei wir, um durch die Schiebetür, die zum Salon führte, zu kommen, den Kopf senkten, und so, den Körper leicht gebeugt, gingen wir weiter in Socken auf den Tatamismatten. Bernard zeigte mir mein Zimmer, groß, völlig leer, ich stellte meine Reisetasche an die Wand, und wir gingen zurück in die Küche zum Aperitif, wobei wir uns an dem kleinen symbolischen Grenzposten, der den Salon von der Küche trennte, jeweils die Schuhe aus- und anzogen. Die Küche war im Winter eiskalt, von allen Seiten zog es, es war unmöglich zu heizen, ich hatte meinen Mantel anbehalten und auf einem Klappstuhl an der Tischecke Platz genommen, und ich setzte meine Handflächen dem rotglühenden Strahler des an einer Gasflasche befestigten Zusatzheizkörpers aus, den Bernard angezündet hatte. Sich selbst hatte Bernard einen Pastis eingeschenkt, mir ein Aspirin zubereitet, wir knabberten Pistazien und schlürften Austern, die er aus dem durchsichtigen Plastikbeutel, in dem sie lose lagen, direkt in eine rot- und
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