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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown
Autoren: Hansjörg Anderegg
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den Teppich gekehrt, wetten?«
    Jezzus schüttelte mit vorwurfsvoller Miene den Kopf. »Jen, Jen, du hörst dich an, als würdest du aufgeben. Was ist los mit dir? Heute ist dein Freudentag, schon vergessen?«
    »Die Freude hält sich in Grenzen, aber aufgeben liegt nicht drin, da kann ich dich beruhigen.«
    »Schon besser. Zensur ist immer schlecht, weil sie die Macht von wenigen Spinnern wie dem Don zementiert. Erinnerst du dich an Mikes Spruch? Freie Meinungsäußerung ist so wichtig fürs Leben wie ...«
    »Wie Sauerstoff und der Super Bowl. Ja, ich gebe ihm recht, was den Sauerstoff betrifft.«
    Gegen Mitternacht schaltete sich Mike aus London zu. Er war auf dem Sprung zur Arbeit. Aus seichter Unterhaltung entwickelte sich bald eine hitzige Diskussion über die wahre Bedeutung der Printmedien im elektronischen Zeitalter und den besten Ansatz, die Menschheit vor der totalen Verblödung zu retten. Als sie kurz die Augen schloss, wähnte sie sich zurück in der alten Fabrik. Nur der feine, blaue Duft störte die Illusion. In einem Punkt herrschte Einigkeit: Sie brauchten dringend einen neuen, anonymen Proxyserver, auf den sie sich hundertprozentig verlassen konnten. Ihr Kopf fühlte sich allmählich schwer an. Sie verabschiedete sich, klappte den Laptop zu und schlief neben dem Computer ein wie in manch glücklicher Nacht ihres früheren Lebens.
    Es war ein unruhiger Schlaf mit wirren Träumen, die allesamt durch die offene Terrassentür entwichen, bevor sie erwachte. Nur der unangenehme Schweißgeruch blieb zurück. Die Sonne schien durch die Büsche ins Haus. Möwen kreischten über der Lagune. Der neue Tag begann warm und hell und locker, wie es sich für Kalifornien gehörte. Ein Tag zum Fürchten, denn die Schuldgefühle quälten sie umso mehr, je friedlicher die Umgebung wirkte. Vergeblich versuchte der Verstand, sie von ihrer Unschuld am Tod der drei Frauen, die sie geliebt hatte, zu überzeugen. Sie benötigte dringend ein Bad, doch das würde den deprimierenden Gedanken nur Vorschub leisten. Missmutig klappte sie den Computer auf. Anspruchsvolle Geistesarbeit hatte sich als Mittel gegen Depressionen bewährt. Ihr Blick fiel auf das CD-Symbol. Es lächelte ihr aufmunternd entgegen, da wusste sie, dass es noch einen andern Weg gab, den schönen Tag zu retten. Sie ließ die Disk auswerfen, steckte sie in den Schlitz von Rebeccas Player und drehte auf Konzertlautstärke. Gustav Mahlers Fünfte in voller Länge, das müsste reichen für ein Vollbad und einen Ausflug zur zweiten Erde, wo auch eben die Sonne durch die Büsche schien.
    Sie ließ das Bad einlaufen, schlug ordentlich Schaum und tauchte hinein. Der Sturm im zweiten Satz fegte die letzten Reste schlechten Gewissens hinweg. Beim Adagietto, dem Stück, das ihr die Augen für die bessere Welt geöffnet hatte, fühlte sie sich glücklich ohne die kleinste dunkle Wolke am Horizont. Die Musik trug sie auch diesmal schwerelos über die Bucht, die in lichtem Blau fast silbern schimmerte wie Rebeccas Aura, über die Städte und Dörfer des anderen Kalifornien, wo es nur freundliche, hilfsbereite und gute Menschen gab, deren Sprache keine Wörter für Zensur, Korruption und Gewalt kannte.
    »Hallo Jennifer«, sagte einer mit der tiefen Stimme, die sie augenblicklich in die Wirklichkeit zurückschleuderte.
    Entsetzt sah sie die massige Gestalt ihres Vaters auf sich zukommen. Ihr Herz stand still. Die Zeit stand still. Die Musik erstarb, als hielte jemand die Platte an, dann begann sie, langsam rückwärts zu drehen. Zerhackte Wörter aus Adams Mund mischten sich in die unerträgliche Kakofonie. Seine mächtige Pranke hob sich wie in Zeitlupe. In letzter Verzweiflung griff sie zur Nagelfeile auf dem Sims neben der Wanne. Ein spitzer Schrei entrang sich ihrer Kehle, als sie zustach. Adams Faust fing den Stoss ins Leere ab. Mühelos nahm er ihr das spitze Spielzeug aus der Hand. In stummer Todesangst, nackt und wehrlos wartete sie auf ihr Ende wie damals in der Kirche.
     
    Womöglich hätte er sie doch nicht allein ziehen lassen dürfen, ging es Frank durch den Kopf, als er die offene Terrassentür sah. Die laute und fremdartige Musik jagte ihm kalte Schauer über den Rücken, statt ihn zu beruhigen. Das Wohnzimmer war leer. Er wollte sie rufen, da schnürte ihr Angstschrei ihm die Kehle zu. In Riesenschritten rannte er ins Bad. Er erkannte Adam sofort wieder. Die verfluchte Gestalt stand an der Wanne, ein Messer in der drohend erhobenen Rechten. Die linke Faust
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