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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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er unseren Freunden dabei zusah, wie sie im warmen Sonnenlicht tranken, wie ihre Kehlen das Bier hinunterschluckten, wie ihre Lippen sich benetzten. Die Luft füllte sich plötzlich mit dem süßlichen Aroma von billigem amerikanischem Bier. Das war der Geruch unserer Kindheit: der Geruch der Getreidesilos, der Scheunen und der Felder in der Erntezeit. Bier war unser Lebenselixier, und ich konnte Ronnys Qualen gut verstehen. Sein Gehirn war nicht so sehr beschädigt, als dass er sich nicht mehr an das schummrige Licht in unseren Lieblingsbars hätte erinnern können oder an das Wummern unserer Lieblingsjukeboxen. An die Nächte, in denen wir unsere uralten Pick-up-Trucks draußen irgendwo mitten in der Landschaft parkten, uns auf die Ladefläche legten und Dutzende von Bierdosen leerten und wie wir die Dosen dann hinaus in den Straßengraben warfen oder in die endlosen Maisfelder. An den betrunkenen Sex, der darauf folgte: die leichten Berührungen der Finger, das Gewicht der Brüste, das zärtliche Aneinanderstreichen der Beine, der Kampf mit störrischen Reißverschlüssen, das Herunterreißen viel zu enger Jeans. All unsere schönsten Erinnerungen waren im Bierdunst entstanden, und in diesem Moment konnte ich erkennen, wie schmerzlich Ronny sein Lieblingslaster vermisste. Irgendwo in den unterbrochenen Schaltkreisen seines Gehirns musste nach wie vor ein unstillbarer Durst wohnen. Ein Teil von mir hätte ihm gerne Abhilfe verschafft, aber das ging natürlich nicht und würde auch nie gehen. Vielleicht hätten wir ihm ja sogar ab und zu ein Bier anbietenkönnen, aber niemand wollte dieses Risiko eingehen, und wozu auch? Was konnte dabei denn schon Gutes herauskommen?
    Wir spielten stundenlang Golf, bis unsere Gesichter sonnenverbrannt und die Lippen trocken und aufgesprungen waren. Es kamen Golfwagen mit Cheeseburgern und Hotdogs und Wasserflaschen und Coladosen vorbei, aber das änderte nichts; wir waren vom Golfspielen erschöpft. Über unseren Köpfen zog die Sonne ihre Bahn und stieg nun im Westen allmählich herab. Wir waren lausige Spieler, Ronny und ich. Aber hier und da gelang uns ein Schlag, mit dem wir den kleinen Ball in die Landschaft hinaussegeln ließen, bis er in der Nähe irgendeiner kleinen Fahne landete, die ein noch kleineres Loch in der Erde markierte. Wir lachten miteinander und auf einmal konnte ich erkennen, warum Lee so gut mit Ronny befreundet war. Sie waren beide Junggesellen, Freizeitkumpels, die sich ganz automatisch zusammengetan hatten, weil sie beide keine Kinder oder Ehefrauen hatten, die sie am Spaßhaben hindern konnten. Und vielleicht war das ja auch der Grund, warum ich Ronny nicht öfter angerufen, ihn nicht öfter eingeladen hatte mitzukommen, wenn ich auf Moorhuhnjagd ging oder zu irgendeinem Händler fuhr, um die Preise von Landwirtschaftsmaschinen zu vergleichen. Ich weiß es selbst nicht. Er war liebenswürdig und aufrichtig und sanftmütig. Wir fuhren den ganzen Nachmittag kreuz und quer über den Golfplatz, schlugen die Bälle durch die Gegend und feuerten uns gegenseitig an. Und er stellte mir die allerbesten Fragen: über Beth und die Kinder, über meine Farm und die Traktoren. Er war nicht an unserem spärlichen Einkommen interessiert, nicht an unseren alten, gebrauchten Autos oder unseren lumpigen paar Investitionen.Seine Teilnahme war echt. Ich lud ihn ein, zu uns zum Essen zu kommen.
    »Danke«, sagte er. Und: »Was soll ich mitbringen?«
    »Bring nur dich selbst mit, Ronny. Einfach nur dich selbst.«
    Sechsunddreißig Löcher später fuhren wir zurück zum Clubhaus, obwohl es Ronny offensichtlich wunschlos glücklich machte, einfach nur durch die Gegend zu fahren und sich die Löcher anzusehen, all die Böschungen, Sandbunker, Teiche und langen, schmalen Fairways. Als wir im Clubhaus ankamen, waren wir nicht die Ersten. Der Großteil der Partygesellschaft war bereits dort. Alle waren ziemlich betrunken und auf dem besten Wege, sich ewige Kameradschaft zu schwören oder in wilden Streit zu verfallen. Oben auf der Bartheke standen zwei Tänzerinnen. Sie waren vollkommen nackt und ihre Körper glänzten; man schien sie mit Sekt übergossen zu haben. Ich sah, wie ein sonnenverbranntes Lächeln Ronnys Gesicht überzog. Ich lächelte ebenfalls.
    »Partytime!«, verkündete er lauthals, woraufhin sich die gesamte Gesellschaft zu ihm umwandte und ihm ihre Zustimmung entgegenröhrte. Plötzlich war Ronny zu ihrem Maskottchen geworden. Irgendjemand riss ihn mir aus den
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