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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
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du warst ja damals so im Stress - Praktikum und Dissertation im selben Jahr. Tja, durch deine Frühreife bist du vielleicht schneller auf dem Arbeitsmarkt gelandet als wir anderen, aber mit Suzy hast du wirklich was verpasst. Es hieß, sie sei eine ganz besondere Nummer. Ich habe sogar mit ihr zusammengearbeitet - eine Woche lang. Kruse teilte sie mir zu, sie sollte das Sekretariat übernehmen. Sie konnte nicht tippen, brachte die Akten durcheinander. Im Grunde eine süße Biene. Aber irgendwie ein bisschen doof.«
    Der Ehrengast nebst Gattin war näher gekommen. Suzanne Kruse tippelte hinter ihrem Mann her, als ob sie auf einer Schiene liefe. Sie sah verletzlich aus, knochige Schultern, der sehnige Hals vom Diamantkollier in zwei Teile zerschnitten, beinahe flache Brust, eingefallene Wangen und ein spitzes Kinn. Ihre Arme waren wohl geformt, aber mager; knochige Hände endeten in langen, spindeldürren Fingern mit langen und rotlackierten Nägeln. Sie umklammerten den Arm ihres Gatten und bohrten sich in den Anzug.
    »Muss wahre Liebe sein«, sagte ich. »Dass er ihr all die Jahre treu geblieben ist.«
    »Wette lieber nicht darauf, dass es sich um eine gesunde Ehe handelt. Kruse kennt man als großen Schürzenjäger, und von Suzy weiß man, dass sie tolerant ist.« Er räusperte sich. »Unterwürfig.«
    »Wortwörtlich?«
    Er nickte. »Erinnerst du dich an die Partys, die Kruse damals in seinem Haus im Mandeville Canyon gab, in dem ersten Jahr nach seinem Eintritt in die Fakultät? Ach, du warst ja in San Francisco.« Er hielt ein, aß ein Stück Frühlingsrolle und sann nach. »Warte, ich glaube, 1975 gab er sie immer noch. Du warst 1975 wieder hier, nicht wahr?«
    »Examen gemacht«, sagte ich. »Im Krankenhaus gearbeitet. Ich bin ihm einmal begegnet. Wir mochten einander nicht. Er hätte mich nicht zu sich eingeladen.«
    »Niemand war eingeladen, Alex. Das war ein offenes Haus. Jeder kam und ging, wie er wollte.« Er fasste mir unters Kinn. »Du wärst wahrscheinlich sowieso nicht hingegangen, weil du ein guter Junge warst, immer so ernst bei der Sache. Ich bin auch nie weiter als bis zur Tür gekommen. Brenda warf nur einen Blick auf die Leute, als sie den Fußboden mit Speiseöl bestrichen, und zerrte mich gleich wieder hinaus an die frische Luft. Aber wer dabei war, sagte später, es wären nette Orgien gewesen, wenn man darauf steht, andere Seelenklempner zu vögeln. Oh! Calcutta! mit Versuchsanordnungen à la B.F. Skinner kombiniert - da läuft’s einem kalt den Rücken runter, was? Und Suzy Beinebreit war eine der Hauptattraktionen - gefesselt, gezäumt, geknebelt und ausgepeitscht.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Campus-Tratsch. Alle wussten es - das war kein Geheimnis. Damals fand das keiner so irrsinnig ausgefallen. Vor Ansteckung brauchte man sich nicht zu fürchten - sexuelle Befreiung, Entfesselung des Es, Erweiterung der Grenzen des Bewusstseins et cetera, et cetera. Sogar die Anhänger der radikalen Befreiung unter uns Studenten und Assis dachten damals, Kruse wäre auf dem Weg zum Durchbruch zu etwas Sinnvollem. Oder vielleicht genossen sie auch einfach die dominierende Rolle. Jedenfalls galt es als philosophisch akzeptabel, Suzy auszupeitschen, weil es irgendwie ihrem eigenen Bedürfnis entsprach.«
    »Peitschte Kruse sie aus?«
    »Alle taten es. Es war ein richtiges Gruppenerlebnis - jeder durfte mal. Da, sieh sie dir an, wie sie sich an ihm festklammert, als ginge es um ihr Leben! Wirkt sie nicht unterwürfig? Wahrscheinlich eine passiv-abhängige Persönlichkeit, perfekt passende Symbiose mit einem Machtgeilen wie Kruse.«
    Auf mich wirkte sie verängstigt. Hielt sich an ihrem Mann fest, aber blieb im Hintergrund. Ich sah, dass sie einen Schritt vortrat und lächelte, wenn man sie ansprach, und dann wieder zurückwich. Schüttelte ihr langes Haar und prüfte ihre Nägel. Ihr Lächeln war so flach wie ein Abziehbild, und ihre dunklen Augen strahlten unnatürlich.
    Sie bewegte sich, sodass die Sonne auf ihr Brillantkollier traf und darin funkelte. Mich erinnerte es an ein Hundehalsband.
    Kruse wandte sich abrupt um, ergriff jemandes Hand, und seine Frau verlor das Gleichgewicht. Sie streckte den Arm aus, um sich festzuhalten, und bekam ihn beim Ärmel zu fassen, umklammerte ihn fester, schmiegte sich eng um ihn herum. Er knetete weiter ihre nackte Schulter, aber was die Aufmerksamkeit betraf, die er ihr zukommen ließ, hätte sie auch ebenso gut ein Pullover sein können.
    Liebe.Was zum
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