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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen
Autoren: Sabine Werz
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werden erste Gerüchte laut, dass Victorias enge Beziehung mit einem schottischen Jagdgehilfen namens John Brown mehr als nur freundschaftlich ist. Premierminister Gladstone wettert: »Die Königin ist unsichtbar, und (ihr Sohn) der Prinz von Wales wird nicht respektiert.« Die Times bezeichnet die Monarchin als Mrs Brown.
    Queen Victoria stellt sich weiter taub. Sie eröffnete zwischen 1861 und 1886 das Parlament nur sechsmal und lebt weiter bevorzugt in Balmoral, Osborne House oder Windsor. Gerade das letztere Schloss gilt anno 1900 als wenig repräsentativ. Die Zeitungen sehen in Windsor nur ein »obskures Dorf in Berkshire, das lediglich für ein altes Schloss ohne Sanitäreinrichtung bekannt ist«.
    Victorias Rückzug nach dem Tod von Prinz Albert folgt ein vollkommener Niedergang zeremoniellen Glanzes, der für eine Monarchie unverzichtbar ist. Am Ende machen die Politiker aus Victorias Not eine Tugend.
    Sie beginnen die weitgehend unsichtbare Queen als moralisch einwandfreie Witwe zu inszenieren und ihr Schicksal als ein anrührendes bürgerliches Trauerspiel.
    Die kleine Königinwitwe in Schwarz muss als gramgebeugte, überlebensgroße, aber letztlich unverwüstliche Matrone eine imperiale Rolle ausfüllen, die ihren Thronvorgängern und etlichen Kollegen aus Europa längst über den Kopf gewachsen war. Sie wird zur Ikone eisernen Durchhaltevermögens und berühmter Britentugenden wie keep up countenance (immer die Fassung und das Gesicht bewahren). Und selbst ihr häufiger Missmut gilt nun als hervorragendes Beispiel für die stiff upper lip – also für die Fähigkeit, in keiner Lebenslage eine Miene zu verziehen oder allzu viel Gefühl zu zeigen. Dass sie privat ganz anders war und durchaus zum Scherzen aufgelegt, steht auf einem anderen Blatt und in ihren Tagebüchern.
    Die Queen wird zur unantastbaren Übermutter der Nation umgestylt, die an der Spitze der Welt- und Kolonialmacht England eher privat, aber als stets wachsame Glucke über das Wohl der Völker wacht.
    Sinnsprüche wie My home is my castle und No sex please, we are British scheinen bald niemandem besser auf den ausladenden Leib geschrieben zu sein als Queen Victoria. Der Presse wird kein Maulkorb umgehängt; man lenkt sie lieber mit glanzvoll aufpolierten Zeremonien ab.
    Und endlich freundet sich Victoria mit diesem Part an, der ihr viel Privatleben lässt.
    Einen wesentlichen Anteil an der Freizeitgestaltung der eisernen Witwe Victoria hat John Brown, der ehemals als schottischer Jagdgehilfe des Prinzgemahls in Balmoral beschäftigt worden ist, in jedem Fall gehabt. Schon 1865 erhebt Victoria ihn zum »Hochlanddiener der Königin«. Ab da hat Brown, ein rauer, gewitzter Schotte, der gern dem Alkohol zuspricht, Narrenfreiheit und scheut sich nicht, Politiker und geladene Dinnergäste anzupöbeln: »Genug geschwatzt, Essen ist fertig.« Was Victoria sehr komisch findet. Sie schickt Brown sogar mit Anordnungen zu ihren hochrangigen Privatsekretären. Brown übermittelt die Befehle stets recht deftig und ohne Rücksicht auf Rang und Namen: »Sie gehen heute nicht fischen, Sie haben zu tun.«
    Die Queen lässt nichts auf ihn kommen und erklärt ihrer Tochter nach Browns Tod 1883: »Er hat mich achtzehneinhalb Jahre nicht einen Tag verlassen.« Und: »Wie soll ich ohne ihn, meinen besten, teuersten Freund, dem ich alles sagen konnte, nur weiterleben?«
    Es gelingt ihr einmal mehr und diesmal sogar im Angesicht der Öffentlichkeit. In den letzten achtzehn Jahren ihres Lebens, das bis knapp ins 20. Jahrhundert hineinreicht, findet Victoria außerordentlichen Gefallen an typisch royalen Auftritten, und Britannien findet außerordentlichen Gefallen an seiner Königin. Am Ende des 19. Jahrhunderts singt ganz Great Britain wieder voll Inbrunst mit: God save the Queen .
    Victoria wird in Königskreisen »als Großmutter Europas« bezeichnet.
    Neben ihrer englischen Nachfahrin Elisabeth II. von England und deren Gemahl Philip sind die meisten derzeit im Amt befindlichen Monarchen mit Victoria verwandt. Etwa Harald V. von Norwegen, das Königspaar Juan Carlos und Sophia von Spanien, König Carl Gustav von Schweden und Königin Margarete von Dänemark. Hinzu kommen diverse nicht regierende Aristokraten.
    Auch wenn sie Geburten gehasst hat, konnte Queen Victoria durch ihre Kinder 44 Enkel und hernach 80 Urenkel auf den blaublütigen Heiratsmarkt werfen. Sie alle wurden gern genommen, auch wenn einige einen Gendefekt mit in die Ehen einbrachten, ein
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