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Serum

Serum

Titel: Serum
Autoren: R. Scott Reiss
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bestätigt. Der Leiter der Finanzabteilung wurde gefeuert und zahlt heute noch das Geld zurück, das er unterschlagen hat. Sein Stellvertreter »trat zurück«, um »mehr Zeit für die Familie zu haben«, und elf Millionen Dollar wurden als unwiederbringliche Verluste verbucht. Aber unser Aktienkurs blieb stabil, unsere Investoren sparten Millionen, und niemand außerhalb von Lenox – weder die Taskforce des Justizministeriums gegen Steuerbetrug noch das Wall Street Journal, nicht einmal die Familien der gefeuerten Manager – erfuhr je die Wahrheit.
    »Niemand nimmt meine Firma aus«, hatte der Vorsitzende damals gedonnert. »Das nehme ich persönlich.«
    Ich lenkte den BMW durch das Straßengewirr von Devil’s Bay, einer mehr als hundert Jahre alten Arbeiterenklave, die entstanden war, als reiche New Yorker noch Grundstücke in Westchester kauften, nicht in Brooklyn. Die Kanalbauer und Brücken- und Tunnelarbeiter, die hier in ihren bescheidenen Behausungen lebten, hätten sich nie träumen lassen, dass ihre Grundstücke am Meer einmal Gold wert sein würden.
    Manhattan hatte Devil’s Bay entdeckt.
    In ein paar der älteren Häuser brannte Licht, und das Frühstück wurde zubereitet. Die Sterne standen noch am samtigen Himmel über dem stillen Atlantik. Die Mondsichel kräuselte sich im Wasser der Bucht von Devil’s Bay, die in der Zeit der großen Wirtschaftskrise bei Rumschmugglern sehr beliebt gewesen war. Schon zu dieser frühen Morgenstunde erfüllte eine klebrige Schwüle die Stadt. Als ob die Metropole in der Hitze schwitzen würde.
    Ich riskierte es, die Person in der Firma anzurufen, der ich am meisten vertraute. Sie wohnte in einem Loft-Apartment in TriBeCa, und während ich die Nummer eintippte, konnte ich sie direkt vor mir sehen, eine zierliche, dunkelhaarige Frau, den Kopf auf ein hellblaues Kissen gebettet, ein schlanker, wohlgeformter Arm, der über der Patchwork-Quiltdecke nach dem Telefon tastete. Kim Pendergraph – seit zwölf Jahren Dwyers persönliche Assistentin – teilte meine unverbrüchliche Loyalität ihm gegenüber. Uns verband eine besondere Art von Beziehung, wie sie manchmal zwischen einem Mann und einer Frau entsteht, die sich zueinander hingezogen fühlen, aber nie miteinander geschlafen haben, weil ihre Freundschaft ihnen wichtiger ist als Experimente im Bett. Wir waren miteinander ausgegangen. Wir hatten in unausgesprochenem Einverständnis nie den letzten Schritt getan.
    »Hier ist Mike. Tut mir leid, dich zu wecken.«
    Als sie erfuhr, was geschehen war, begann sie, leise zu weinen.
    »Ich kann nicht glauben, dass er sich umgebracht hat, Mike. Er hat in letzter Zeit zu Wutausbrüchen geneigt. Aber Dwyer packt Probleme bei den Hörnern. Er läuft nicht davon.«
    »Irgendwelche merkwürdigen Anrufe? Besucher?«
    »Gestern Morgen hat er mich ganz eigenartig angestarrt, bevor er nach Washington flog. Er sagte, er hätte die Dinge völlig falsch bewertet. Es war seltsam.«
    Genauso hat er mich am letzten Abend angesehen.
    »Was wollte er in Washington?«
    »Vor dem Unterausschuss des Senats aussagen, der den Antidot-Vertrag untersucht. Und einen Abstecher zu einem kleinen Labor in Maryland machen. Naturetech. «
    »Und nachdem er zurück war?«
    »Im Terminkalender stand ein Abendessen mit Schwadron und Keating im Hamilton Club«, sagte sie. Die beiden saßen im Aufsichtsrat von Lenox und konnten sich angeblich gegenseitig nicht riechen. »Sein Schattenkabinett sozusagen. Neue Ideen spricht er zunächst mit ihnen durch. Du kennst ja Dwyer. Er stellt nie etwas zur Abstimmung, bevor er nicht genau weiß, was er will.«
    Und sind das die Männer, denen er nicht traute?
    »Gab es einen besonderen Anlass?«
    »Ich hatte schon den Eindruck, aber er sagte nichts Genaueres. Manchmal treffen die drei sich nur, um sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten.«
    Noch fünfzehn Minuten bis zu Dwyers Wohnung. Ich sah die hell erleuchteten Wolkenkratzer von Manhattan an der Südspitze der Insel. So nahe am Herzen der Stadt schien die Luft unter Hochdruck zu stehen, wie Meerwasser in gefährlichen Tiefen. Vielleicht lag es an der Höhe der Gebäude, der erstickenden Last aus Beton und Stahlträgern.
    »Irgendwelche familiären Schwierigkeiten?«, fragte ich Kim. Das bezog sich auf Dwyers – schlechte – Beziehung zu seiner Tochter Gabrielle. Ich war ihr nie begegnet, wusste aber, dass sie eine Schönheit war, wie man gelegentlich bei gesellschaftlichen Ereignissen in der Zeitung sehen
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