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Serum

Serum

Titel: Serum
Autoren: R. Scott Reiss
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PR-Abteilung den Selbstmord behandeln wollte.
    »Mit dem guten Ruf ist es wie mit der Seele«, hatte Dwyer einmal gesagt, als er mich vom FBI abwarb. »Hat man sie einmal verloren, ist man beim Teufel.«
    Und nachdem er uns gestern Nacht einen doppelten Scotch eingeschenkt hatte, murmelte er: Sie hätten gerne, dass ich verschwinde. Vielleicht wäre es besser so.
    Waren das die verstörten Worte eines Selbstmörders gewesen oder der Hilferuf eines Mannes, der in Gefahr schwebte?
    Ich zog ein frisches weißes Hemd an und schlüpfte in einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug von Armani mit einer Krawatte in unaufdringlichem Kobalt, die gleichzeitig Trauer und Macht ausdrücken konnte. Heute war der richtige Tag für beides. Ich trug glänzend polierte Bruno-Maglis-Schuhe. Meine silberne Uhr war eine hauchdünne Rolex, die Brieftasche aus Florentiner Leder. Der Haarschnitt stammte von der Madison Avenue, und der neue schwarze BMW in der Einfahrt war ein geleaster Firmenwagen.
    Mit 44 Jahren stand ich auf dem Höhepunkt des Erfolgs und gleichzeitig am Rande einer Katastrophe. Ich war Sicherheitschef eines der größten Pharmakonzerne der Welt. Mein hochdotierter Vertrag garantierte mir eine beträchtliche Abfindung auch nach dem Ausscheiden aus der Firma. Hunderte von Leuten in aller Welt – Sicherheitsbeamte, Leibwächter, interne Ermittler und sogar paramilitärische Schutztruppen in Lateinamerika – hörten auf meinen Befehl. Ein Firmenjet stand zu meiner Verfügung, ebenso ein Firmenapartment auf der Fifth Avenue, wenn ich in Manhattan übernachten wollte. Mein Spesenkonto war viermal so hoch wie beim FBI, und ich konnte eine Luxuswohnung in Venezuela für gelegentliche Liebesabenteuer nutzen. Meine Freundinnen waren ebenfalls New Yorker Alphatiere, die die Regeln kannten: Man verbrachte eine schöne Zeit im Bett, dann flog man nach Hause und ging in aller Freundschaft auseinander, ohne Verpflichtungen, die die eigene Karriere behindern konnten.
    In letzter Zeit, vor allem in der Morgendämmerung, in jener Zeit der Klarheit vor Sonnenaufgang, kam mir manchmal der Gedanke, ich wäre einsam.
    Ich goss mir einen Espresso – meine persönliche Droge – in eine silberne Deckeltasse zum Mitnehmen und stieg in den BMW. Dwyers Worte bei meinem Einstellungsgespräch kamen mir wieder in den Sinn. Er hegte damals den Verdacht, dass führende Leute in der Firma in illegale Handlungen verstrickt waren und Kontakte zum organisierten Verbrechen hatten. Er brauchte Gewissheit.
    »Mike, Sie werden hier aufräumen müssen, selbst wenn es dabei gegen Aufsichtsratsmitglieder oder meine persönlichen Freunde geht. Sie leiten einen privaten Sicherheitsdienst für achtundvierzigtausend Angestellte. Ihre Befehlsgewalt wird sich von unserem Sitzungssaal bis zu unseren Fabriken, Laderampen, Laboren und Computerdateien erstrecken. Doch da endet sie.«
    »Und was heißt das?«, fragte ich, argwöhnisch und gleichzeitig beeindruckt von seiner gelassenen Selbstsicherheit. Er residierte in einem sonnendurchfluteten Eckbüro im Firmenhauptsitz am Battery Park, in einem neuen Hochhaus, das nach der Katastrophe im World Trade Center hochgezogen worden war.
    »Das heißt, wir regeln die Dinge unter uns. Sie haben innerhalb des Unternehmens freie Hand, doch die Grundregel lautet: Sobald Sie etwas herausgefunden haben, kommen Sie damit zu mir. Ich erledige das. Nicht das FBI oder die Polizei. Wenn Sie damit nicht leben können, dann gehen wir jetzt auseinander, und ich werde Sie für Ihre Entscheidung respektieren.«
    »Ich werde keine Gesetze für Sie brechen.«
    »Nein, aber Sie werden die Regeln ein wenig strapazieren, genauso, wie Sie es beim FBI getan haben. Manchmal bedarf es einiger fauler Kompromisse, um dem Gesamtwohl zu dienen. Beim FBI haben Ihre Vorgesetzten beschlossen, welcher Verdächtige verhaftet wird und mit welchem man einen Deal macht. Wer Schutz genießt und wer vor Gericht gestellt wird. Hier treffe ich diese Entscheidungen.«
    »Ich werde zunächst Ihnen Bericht erstatten«, stimmte ich nach kurzem Überlegen zu. »Aber wenn Sie dann nicht aktiv werden, handle ich auf eigene Faust.« Meine Selbstachtung stand nicht zum Verkauf. Nur meine Talente. »Können Sie damit leben?«
    Zu meiner Überraschung lachte er schallend, goss zwei Scotch ein, und wir stießen auf unseren Pakt mit dem Teufel an. Einen Monat später fing ich bei Lenox an.
    Innerhalb von sechs Monaten hatte sich der Verdacht des Vorsitzenden in vollem Umfang
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