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Sepia

Sepia

Titel: Sepia
Autoren: Helga Schuetz
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Manifeste. Eli horcht, lauscht, wo nichts ist. Auf der Tapete im Feuerschein erkennbar der Bleichschatten eines Bilderrahmes. Ein großer ovaler Fleck.
    Dieser scheußliche Ölschinken sei ein Geschenk gewesen. Frau Gottschalk habe ihn nie gern angesehen, aber sie habe sich sehr daran gewöhnt. In felsiger Landschaft Maria Magdalena und der auferstandene Christus. Christus sagt: Rühre mich nicht an.
    Denn zwischen der Herrlichkeit des Auferstandenen unddem Erdmenschen muss ein Abstand sein. Eli, du weißt, es muss sein, denn ich bin nicht mehr der, den du kennst.
    Wer denn?
    Der Geist dessen. Liebe, was dir entkommt!
    Aber nicht jeden Tag. Nicht heute.
    In der Raumdimension entzieht sich der Auferstandene, die himmlische Geste sagt: Ich bin nicht mehr hier, aber im künstlich zweidimensionalen Bild berühren sich die Formen und Farben der Gewänder, Magdalenas Hände liegen an dem Stoff seines strahlenden Mantels. Als habe der Maler mit der perspektivischen Raumdimension der strengen Botschaft ein Schnippchen geschlagen, dabei Gehorsam und Glauben nicht verletzt.
    Eli hockt im Schneidersitz vor der Schreibmaschine, den Tastendeckel hat sie abgenommen, das Farbband muss man ab und zu von Hand bewegen, das Papier in der Walze flattert, wenn die Typen dagegen schlagen, zögernd, Buchstabe für Buchstabe. Im Raum des Bildes berührt sich, was getrennt sein soll. Nur in den Bildwerken kleiner Kinder herrscht eitel Frömmigkeit, denn da lebt jedes noch frei in seinem Element.
    So viel über den Fleck an der Wand.
     
    Hinter Elis Rücken finden erbitterte Kämpfe statt. Es geht ums Wohnrecht. Um Ansprüche. Anträge liegen vor. Es gibt Überschneidungen. Herr Simon und Helga haben inzwischen einen chinesischen Teppich gekauft und ein drittes Zimmer mit neuen Hellerau-Möbeln vollgestellt, die Fenster mit Rupfen behängt. Eine kinderreiche Familie soll in die Gottschalk-Wohnung einziehen, einem Techniker aus Frankfurt/Oder muss samt Familie in Potsdam eine Wohnung zugewiesen werden. Also wird in Frankfurt was frei. Wer will denn nach Frankfurt/ Oder?
    Eli geht das alles nichts an. Sie hat die Dezembermiete bezahlt und Namensschilder festgeklebt. Eins unter die Türklingel neben der Wohnungstür, eins an der Tür zu ihrem Loggiazimmer und ein größeres an die Bewohnertafel unten im Hausflur. R. REICH. Die Simon-Helga-Partei kämpft gegen den Anspruch der kinderreichen Familie. Helga kann Papiere vom Rat der Stadt vorlegen. Die Sachbearbeiterin von der Wohnraumlenkung hofft immer noch, dass sie in diesen Tagen endlich mal einen Härtefall loswerden kann. Ein Drama, dazu eins mit unlösbaren Konflikten. Wie der Streit auch enden mag, Eli hat ihr Chaiselongue im Loggiazimmer. Sie ist in mehreren Dokumenten festeingeschriebene Mieterin.
    Manchmal fährt sie jetzt wieder nach Berlin ins Pergamonmuseum und oft mit dem Fahrrad nach Sanssouci, um Geld zu verdienen. Sie arbeitet in der Holzfällerbrigade. Jede Hand wird gebraucht, denn der Herbststurm hat viel umgehauen. Der Chefdendrologe jammert nicht, er hat manches vorausgesehen.
    Die Geleditsia triacanthos im Bereich Christuspforte macht nicht mehr lange, der Solitär, eine Gurkenmagnolie, hat ausgedient. So ein Sturm schafft klare Linie, selten mal, dass was junges Gesundes fällt. Meist nimmt uns der Sturm die Entscheidung aus der Hand, manchmal ist er sogar klüger als wir, schlauer als ich. Zum Beispiel die Kastanie am Teehaus, damit hätte ich als Fachmann noch nicht gerechnet, wie man jetzt zugeben muss, der Sturm hatte recht, der Schwamm hatte sich, gut getarnt, über die Jahre von der Wurzel her hochgefressen. Ich hab’s nicht gesehen, der Sturm hat’s gewusst.
    Eli ist fürs Kleinholz zuständig, das Grobe wird in Metern zum Depot gefahren, der Rest wird gehäufelt und beizeiten verbrannt.
    Zwischendurch hat Eli im Sekretariat um einen Konsultationstermin bei Kunst-Kunert nachgesucht.
    Aber Kunert gibt doch nicht mehr Kunst, der macht jetzt Deutscher Stummfilm und nebenbei fakultativ Kybernetik, Russisch-Schneider macht Kunst, und Russisch gibt Schneiders Frau. Zu Schneider kannst du immer vor dem Montagsfilm gehen. Unangemeldet, er sitzt im Haupthaus.
    Oder möchtest du mit dem Dekan sprechen, der ist jetzt oft drüben im Stalin-Haus, wie immer oben in der ersten Etage. Da müsste ich dich aber einschreiben. Der Dekan will wissen, ob einer kommt.
    Soll ich?
    Nein, sagt Eli. Ich muss erst noch mal ins Museum und nach Sanssouci.
     
    Der Dekan müsste einschreiten.
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