Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
Oberlippe traf in der Mitte mit einem unteren Zwilling zusammen – wie eine zögernde Hasenscharte, die sich die Sache noch einmal überlegt hatte und ein sinnlicher Bogen geworden war, kein Gebrechen. Über dem linken Auge zog sich parallel zur Braue eine Narbe hin. Sie war hellrot und noch nicht sehr alt.
    »So was habe ich noch nie erlebt. Ich bin allerdings auch erst seit elf Jahren hier. Kaldbakken hat schon dreißig auf dem Buckel. Aber er hat so was auch noch nicht erlebt.«
    Sie zog an ihrem T-Shirt und schüttelte es.
    »Und diese Hitze macht die Sache auch nicht besser. Nachts ist die ganze Stadt auf den Beinen. Eine Regenperiode wäre jetzt toll. Dann bleiben die Leute wenigstens zu Hause.«
    Sie blieben ein wenig zu lange sitzen. Sie redeten über alles und nichts. Sie waren gute Kollegen, denen nie der Gesprächsstoff ausging, die aber nur wenig übereinander wußten. Lediglich, daß sie beide ihre Arbeit mochten, daß sie sie ernst nahmen und daß die eine tüchtiger war als der andere. Das spielte keine große Rolle für ihre Beziehung. Sie war ausgebildete Polizistin; ihr Ruf war immer gut gewesen, reichte jedoch seit einer dramatischen Geschichte im vergangenen Herbst ins Legendäre. Er stapfte seit über sechs fahren als mittelmäßiger Jurist im Haus herum, niemals strahlend, niemals blendend. Aber im Laufe der Zeit hatte er sich den Ruf erarbeiten können, pflichtbewußt und fleißig zu sein. Und er hatte in der erwähnten dramatischen Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt, weshalb er jetzt mehr als früher als solide und zuverlässig galt: ziemlich uninteressant also.
    Vielleicht ergänzten sie einander. Vielleicht steckte die Tatsache, daß sie nie miteinander konkurrierten, hinter ihrer guten Zusammenarbeit. Aber es war eine seltsame, von den sechs Mauern des Polizeigebäudes begrenzte Freundschaft. Håkon Sand bedauerte das sehr und hatte mehrmals versucht, es zu ändern. Es war nun schon eine Weile her, daß er so ganz nebenbei ein Essen vorgeschlagen hatte. Er war so schroff abgewiesen worden, daß er auch lange keinen Versuch mehr unternehmen würde.
    »Na gut, vergessen wir erst mal den blutigen Schuppen. Ich hab’ auch sonst genug zu tun.«
    Hanne Wilhelmsen klopfte auf einen hohen Stapel von Ordnern, die in einem Fach beim Fenster lagen.
    »Haben wir doch alle«, erwiderte der Adjutant und ging die zwanzig Meter über den Flur zu seinem eigenen Büro.
    »Warum warst du noch nie mit mir hier?«
    Die Frau auf der anderen Seite des kleinen Zweipersonentisches lächelte vorwurfsvoll und faßte nach seiner Hand.
    »Ich wußte doch nicht, ob du dieses Essen magst«, antwortete er, sichtlich froh darüber, daß die Mahlzeit so gut angekommen war. Die tadellos gekleideten pakistanischen Kellner, deren Sprache anzudeuten schien, daß sie in einem Osloer Krankenhaus geboren worden waren und nicht in einem Gesundheitszentrum in Karachi, hatten sie zuvorkommend durch das Menü gelotst.
    »Es liegt ein bißchen blöd«, sagte er nun. »Aber ansonsten gehört es zu meinen Lieblingsrestaurants. Gutes Essen, tolle Bedienung und Preise, die sich ein Staatsangestellter leisten kann.«
    »Du warst also schon öfter hier«, sagte sie. »Mit wem denn?«
    Er gab keine Antwort, sondern hob sein Glas, um zu verbergen, wie peinlich ihm diese Frage war. Alle seine Frauen waren hier gewesen. Die ganz kurzfristigen, viel weniger, als ihm lieb war, und die zwei oder drei, mit denen er einige Monate durchgehalten hatte. Jedesmal hatte er an sie gedacht. Daran, wie es wäre, mit Karen Borg hier zu sitzen. Und nun saßen sie hier.
    »Denk nicht an die ersten. Konzentrier dich lieber darauf, die letzte zu sein«, grinste er schließlich.
    »Wie elegant formuliert«, entgegnete sie, aber in ihrer Stimme lag dieser Hauch von … nicht von Kälte, aber von einer Kühlheit, die ihn immer in Panik versetzte. Daß er es auch nie lernte!
    Karen Borg wollte nicht über die Zukunft reden. Seit fast vier Monaten trafen sie sich nun mehrmals pro Woche. Sie aßen zusammen und gingen ins Theater. Sie wanderten im Wald und liebten sich, sobald sich eine Gelegenheit bot. Was nicht zu oft vorkam. Sie war verheiratet, ihre Wohnung war also ausgeschlossen. Ihr Mann wisse zwar, daß sie ein Techtelmechtel hätten, behauptete sie, aber sie wollten erst alle Brücken hinter sich einreißen, wenn sie sicher wären, daß sie genau das wollten. Natürlich hätten sie zu ihm gehen können, was er auch jedesmal vorschlug. Aber das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher