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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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sich vor ihn und klappte schnell die überflüssigen zehn Zentimeter nach innen, wodurch sie unsichtbar wurden.
    »Du darfst sie nicht nach außen Umschlägen«, sagte sie freundschaftlich und erhob sich. Sie strich ihm in einer leichten, fast liebevollen Geste über den Ärmel. »So. Jetzt siehst du ganz toll aus. Mußt du ins Gericht?«
    »Nein«, sagte der Adjutant, der trotz der vertraulichen Geste verlegen geworden war, als seine Kollegin ihn auf seine mangelhafte Eleganz hingewiesen hatte. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, dachte er, sagte aber etwas anderes.
    »Ich bin gleich nach der Arbeit zum Essen verabredet. Aber du, weshalb warst du gestern hier?«
    Ein hellgrüner Umschlag schwebte durch die Luft und landete elegant auf Hanne Wilhelmsens Schreibunterlage.
    »Den habe ich gerade reingekriegt«, sagte er. »Komische Kiste. Kein Wort von zerlegten Menschen oder Tieren in unserem Bezirk.«
    »Ich hab’ eine Extraschicht bei der Bereitschaft eingelegt«, erklärte sie und ließ den Umschlag unberührt liegen. »Die haben da im Moment zu viele Krankheitsfälle.«
    Der Polizeiadjutant, ein dunkler, ziemlich gutaussehender Mann mit graueren Schläfen, als seine fünfunddreißig Jahre hätten erwarten lassen, ließ sich in den Besuchersessel fallen. Er nahm die Brille ab und putzte sie mit seinem Schlipszipfel. Die Brille wurde kaum sauberer, der Schlips jedoch war danach um einiges mehr zerknittert.
    »Der Fall liegt jetzt bei uns. Wenn es einer ist. Kein Opfer, niemand hat was gehört, niemand hat was gesehen. Komisch. Es sind ein paar Bilder dabei.«
    Er zeigte auf den Umschlag.
    »Die brauche ich nicht, danke«, sagte sie abwehrend. »Ich war ja da. Und es hat wirklich nicht besonders schön ausgesehen. Aber weißt du«, fügte sie hinzu und beugte sich vor. »Wenn das alles Menschenblut war, dann müssen dort zwei oder drei Leute umgebracht worden sein. Ich glaube eher, daß uns da ein paar Rotzbengels einen Streich spielen wollen.«
    Diese Theorie wirkte durchaus nicht unwahrscheinlich. Es war das schlimmste Jahr, das die Osloer Polizei je hatte durchmachen müssen. Innerhalb von sechs Wochen war die Stadt von drei Morden heimgesucht worden, von denen mindestens einer wohl niemals würde aufgeklärt werden können. Im selben Zeitraum waren nicht weniger als sechzehn Vergewaltigungen angezeigt worden, sieben davon hatten die Medien ausgiebigst dargestellt. Daß eines der Opfer eine Abgeordnete der Christlichen Volkspartei war – sie war auf dem Heimweg von einer nächtlichen Ausschußsitzung im Schloßpark brutal überfallen worden –, konnte den Zorn der Allgemeinheit über den ausbleibenden Fahndungserfolg der Polizei nun wirklich nicht verringern. Mit großzügiger Unterstützung durch die Boulevardpresse protestierten nun die Bürger der Stadt wutschnaubend gegen die scheinbare Handlungsunfähigkeit im Polizeigebäude. Das große, leicht geschwungene Haus stand unverändert da, starr und grau, scheinbar unberührt von der gnadenlosen Kritik. Seine Bewohner kamen morgens mit hochgezogenen Schultern und gesenkten Blicks zur Arbeit. Sie gingen allabendlich viel zu spät mit hängendem Kopf nach Hause und konnten als Resultat ihres Tageseinsatzes nichts anderes vorweisen als weitere Sackgassen, in die vermeintliche Spuren sie geführt hatten. Die Wettergötter machten sich einen Spaß mit hochsommerlichen Temperaturen. Vor allen Fenstern auf der Südseite des riesigen Gebäudes waren die Rollos heruntergelassen, aber das half auch nicht und ließ das Haus nur blind und taub aussehen. Nichts half, und nichts konnte offenbar den Weg aus einer fachlichen Sackgasse weisen, die sich mit jedem neuen Fall, der in die riesigen Computersysteme eingegeben wurde, weiter zu verschließen schien. Die Computer sollten ein Hilfsmittel sein, wirkten aber eher unfreundlich, fast höhnisch, wenn sie morgens ihre Listen der ungelösten Fälle ausspuckten.
    »Was für ein Frühling«, sagte Hanne Wilhelmsen und seufzte theatralisch. Resigniert zog sie die Augenbrauen hoch und sah ihren Untergebenen an. Ihre Augen waren nicht besonders groß, aber von auffälligem Blau mit einem klaren schwarzen Rand um die Iris, was sie dunkler wirken ließ, als sie waren. Ihre Haare waren ziemlich kurz und dunkelbraun. In unregelmäßigen Abständen zupfte sie zerstreut daran herum, als wünsche sie sich lange Haare und glaube, das Wachstum durch die Zupferei beschleunigen zu können. Ihr Mund war ausgeprägt; der Schwung der
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