Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selection

Selection

Titel: Selection
Autoren: Kiera Cass
Vom Netzwerk:
Technik über die Jahre verbessert. Und ich wollte auf das Essen achtgeben.
    Ich huschte über den Rasen. An sich hätte ich meine Tageskleidung anlassen können, aber ich trug meinen niedlichsten Schlafanzug, der aus einem braunen Höschen und einem engen weißen T-Shirt bestand und in dem ich mich sehr hübsch fühlte.
    Obwohl ich nur eine Hand frei hatte, war es nicht schwer für mich, die an den Baum genagelten Bretterstufen hinaufzuklettern. Auch das hatte ich lange geübt. Mit jeder Stufe fühlte ich mich befreiter. Ich war nicht weit weg vom Haus, aber der ganze Trubel schien jetzt meilenweit entfernt zu sein. Hier musste ich nicht Prinzessin werden.
    Als ich in den kleinen Raum kroch, der mein Zufluchtsort war, wusste ich, dass ich dort nicht alleine war. In der Ecke versteckte sich jemand im Dunkeln. Mein Herz schlug unwillkürlich höher. Ich stellte das Essen ab und blinzelte. Die Person bewegte sich und entzündete einen Kerzenstummel. Nur ein kleines Licht, das man vom Haus nicht sehen konnte, aber es reichte aus. Schließlich sprach der Eindringling, und ein freudiges Lächeln trat auf sein Gesicht.
    »Hallo, schönes Mädchen.«

2
    Ich kroch weiter nach hinten. Das Baumhaus war kaum vier Quadratmeter groß, und nicht mal Gerad konnte darin aufrecht stehen, aber ich liebte es. Es gab nur die Öffnung, durch die man hineinkam, und ein winziges Fenster an der Hinterwand. Ich hatte einen alten Tritthocker in die Ecke gestellt, der als Tisch für die Kerze diente, und einen kleinen Läufer auf den Boden gelegt, der schon so abgetreten war, dass man fast auf den bloßen Brettern hockte. Alles war sehr karg, aber es war mein Zufluchtsort. Unser Zufluchtsort.
    »Bitte nenn mich nicht so. Erst meine Mutter, dann May und jetzt auch noch du. Das nervt.« Aspens Blick nach zu schließen, nützte mein Einwand rein gar nichts. Er lächelte.
    »Geht nicht anders. Du bist das schönste Wesen, das ich jemals gesehen habe. Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich das auch sage, wenn ich schon einmal Gelegenheit dazu habe.« Er nahm mein Gesicht in beide Hände, und ich schaute tief in seine Augen.
    Das reichte aus. Seine Lippen berührten meine, und ich konnte an nichts anderes mehr denken. Es gab kein Casting mehr, keine mittellose Familie, nicht einmal Illeá selbst. Nur noch Aspens Hände auf meinem Rücken, sein Atem auf meinen Wangen. Meine Hände strichen über seine schwarzen Haare, die noch feucht waren vom Duschen – er duschte immer nachts – und sich von selbst zu einem perfekten kleinen Knoten zusammengedreht hatten. Aspen roch nach der selbst gemachten Seife seiner Mutter. Ich träumte oft von diesem Duft. Als wir uns voneinander lösten, lag ein Lächeln auf meinem Gesicht.
    Er saß breitbeinig da, und ich setzte mich auf ein Bein, wie ein Kind, das gewiegt werden will. »Tut mir leid, dass ich nicht besser gelaunt bin. Es ist wegen … wir haben heute diese blöde Mitteilung bekommen.«
    »Ah ja, der Brief.« Aspen seufzte. »Wir haben zwei gekriegt.«
    Natürlich. Die Zwillinge waren gerade sechzehn geworden.
    Aspen betrachtete mich eingehend. Das tat er immer, wenn wir zusammen waren, als müsse er sich mein Gesicht neu einprägen. Wir hatten uns über eine Woche nicht gesehen und wurden immer unruhig, wenn mehr als ein paar Tage zwischen unseren Treffen lagen.
    Und auch ich schaute ihn an. Aspen war – von allen Kasten – bei Weitem der am tollsten aussehendste Typ der Stadt mit seinen schwarzen Haaren, den grünen Augen und dem geheimnisvollen Lächeln. Er war groß, aber nicht zu groß, und dünn, aber nicht zu dünn. In dem schummrigen Licht sah ich, dass er dunkle Schatten unter den Augen hatte; vermutlich hatte er die ganze Woche bis in die Nacht hinein gearbeitet. Sein schwarzes T-Shirt war an mehreren Stellen ebenso fadenscheinig wie die alte Jeans, die er fast jeden Tag trug.
    Wenn ich sie nur für ihn flicken könnte. Das war mein größter Wunsch. Nicht Prinzessin von Illeá zu sein, sondern Aspens Prinzessin.
    Es war schmerzhaft, nicht immer bei ihm sein zu können. An manchen Tagen wurde ich fast verrückt, weil ich so oft an ihn dachte. Wenn ich es nicht mehr aushalten konnte, machte ich Musik. Ich musste Aspen im Grunde dankbar sein, weil ich seinetwegen zu einer besseren Musikerin wurde.

    Wir verstießen gegen das Gesetz. Aspen war eine Sechs. Sechser waren Bedienstete und nur deshalb eine Kaste höher als die Siebener, weil sie besser ausgebildet und auf Hausarbeit spezialisiert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher