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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch
Autoren: Antonio Damasio
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Selektion wandeln. Außerdem wird die Reifung der Neuronenschaltkreise im einzelnen Gehirn ebenfalls als Gegenstand des Selektionsdrucks betrachtet, der sich aus der Tätigkeit der Lebewesen selbst und ihren Lernprozessen ergibt. Entsprechend verändert sich auch das Repertoire der Neuronenschaltkreise, die ursprünglich vom Genom bereitgestellt worden sind. 16
    Das Gerüst liefert Hinweise auf die Lage der Gehirnregionen, die an der Entstehung des Geistes mitwirken, und macht Vorschläge, wie einzelne Gehirnregionen durch ihr Zusammenwirken das Selbst erzeugen. Es stellt Vermutungen darüber an, wie eine Gehirnarchitektur, die sowohl das Zusammen- als auch das Auseinanderstreben der Neuronenschaltkreise umfasst, an der Koordination der Bilder auf höherer Ebene mitwirkt und eine unentbehrliche Voraussetzung für den Aufbau des Selbst und anderer Aspekte der Geistesfunktion darstellt, nämlich für Gedächtnis, Fantasie und Kreativität.
    Mein Gerüst muss das Phänomen des Bewusstseins in Einzelbestandteile zerlegen, die der neurowisssenschaftlichen Forschung zugänglich sind. Dies führt zu zwei Bereichen, die man untersuchen kann: Prozesse im Geist und Prozesse des Selbst. Die Selbst-Prozesse werden nochmals in Untergruppen unterteilt, eine Trennung, die zwei Vorteile mit sich bringt: Man kann Bewusstsein auch bei biologischen Arten, die wahrscheinlich ebenfalls – allerdings weniger komplizierte – Selbst-Prozesse besitzen, unterstellen und untersuchen, und man kann eine Brücke bauen, die die hohen Ebenen des Selbst mit dem soziokulturellen Umfeld verbindet, in dem die Menschen handeln.
    Ein weiteres Ziel lautet: Das Gerüst muss sich mit der Frage beschäftigen, wie sich Makroereignisse des Systems aus Mikroereignissen zusammensetzen. Hier setzt das Gerüst geistige Zustände hypothetisch mit bestimmten Tätigkeitszuständen einzelner Gehirnregionen gleich. Das Gerüst geht von folgender Annahme aus: Wenn die Neuronen in kleinen Neuronenschaltkreisen innerhalb eines bestimmten Intensitäts- und Häufigkeitsspektrums »feuern«, wenn einige derartige Schaltkreise gleichzeitig aktiviert werden und wenn bei den Verknüpfungen im Netzwerk bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, dann entsteht daraus ein »Geist mit Gefühlen«. Mit anderen Worten: Aufgrund der zunehmenden Größe und Komplexität der Neuronennetzwerke nehmen auch »Kognition« und »Fühlen« – durch die Hierarchien hindurch – von der Mikro- zur Makro-Ebene einen immer größeren Umfang an. Das Vorbild für eine solche Umfangserweiterung des Geistes mit Gefühlen finden wir in der Physiologie der Bewegung. Die Kontraktion einer einzelnen, mikroskopisch kleinen Muskelzelle ist ein unerhebliches Phänomen, aber wenn sich viele Muskelzellen gleichzeitig zusammenziehen, kann eine sichtbare Bewegung entstehen.

Die wichtigsten Gedanken: eine Vorschau
     

1.
    Unter allen in diesem Buch vorgetragenen Gedanken nimmt einer eine zentrale Stellung ein: Der Körper ist das Fundament des bewussten Geistes. Wir wissen, dass die stabilsten Aspekte der Körperfunktionen in Form von Karten im Gehirn repräsentiert sind und demnach Bilder zum Geist beisteuern. Das ist die Grundlage für die Hypothese, dass die besonderen geistigen Abbilder des Körpers, die in den Körperkartierungsstrukturen entstehen, das Protoselbst bilden, das der Entstehung des Selbst vorausgeht. Dabei gilt es zu beachten, dass die entscheidenden Strukturen für die Kartierung des Körpers und die Konstruktion der Bilder im oberen Hirnstamm angesiedelt sind, einer Region, die unterhalb der Ebene der Großhirnrinde legt. Diesen alten Teil unseres Gehirns haben wir mit vielen anderen biologischen Arten gemeinsam.

2.
    Ein weiterer zentraler Gedanke geht von der regelmäßig übersehenen Tatsache aus, dass sich die Protoselbst-Strukturen des Gehirns nicht nur auf den Körper ausrichten. Sie sind vielmehr buchstäblich und unauflöslich an den Körper gebunden . Insbesondere sind sie mit jenen Teilen des Körpers verknüpft, die das Gehirn ständig mit ihren Signalen bombardieren, nur um ihrerseits vom Gehirn bombardiert zu werden, so dass sich eine Resonanzschleife ergibt. Diese Resonanzschleife ist von Dauer und wird nur durch Gehirnerkrankungen oder den Tod unterbrochen. Körper und Gehirn sind verbunden . Aufgrund dieser Anordnung stehen die Strukturen des Protoselbst in einer privilegierten, unmittelbaren Beziehung zum Körper. Die von ihnen verkörperten Bilder des Körpers werden unter
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