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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Nella Larsen
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Kendry.
    »Gehen wir nach Hause, Felise. Ich bin zum Umfallen müde.«
    »Nanu, wir haben nicht mal die Hälfte von dem gemacht, was wir uns vorgenommen haben.«
    »Ich weiß, aber es ist zu kalt, um in der Stadt herumzulaufen. Bleib du nur, wenn du willst.«
    »Ich glaube, das mache ich, wenn du nichts dagegen hast.«
    Und jetzt hatte Irene ein weiteres Problem. Sie musste Clare von diesem Treffen erzählen. Sie warnen. Aber wie? Sie hatte sie seit Tagen nicht gesehen. Schreiben und Telefonieren waren gleichermaßen gefährlich. Und selbst wenn es möglich war, mit ihr in Kontakt zu kommen, was würde es nützen? Wenn Bellew nicht zu dem Schluss gekommen war, dass er sich bei ihr geirrt hatte, wenn er sich ihrer Identität sicher war – und er war nicht auf den Kopf gefallen –, dann ließen sich die Folgen der Begegnung, sollte sie Clare davon erzählen, nicht abwenden. Außerdem war es zu spät. Was immer Clare Kendry bevorstand, es hatte sie schon eingeholt.
    Irene fühlte sich bei dem Gedanken, Clare wahrscheinlich los zu sein, erleichtert und dankbar, und das, ohne einen Finger gerührt oder ein Wort gesagt zu haben.
    Aber sie hatte die feste Absicht, Brian von der Begegnung mit John Bellew zu berichten.
    Doch das schien unmöglich. Seltsam. Etwas hielt sie davon ab. Jedes Mal, wenn sie kurz davorstand, zu sagen: ›Ich bin heute zufällig Clares Mann in der Stadt begegnet. Er hat mich bestimmt erkannt, und Felise war an meiner Seite‹, brachte sie kein Wort heraus. Es klang zu sehr nach einer Warnung, die es ja auch sein sollte. Nicht einmal beim Essen, als die Jungen dabei waren, gelang ihr die trockene Mitteilung.
    Der Abend schleppte sich dahin. Schließlich wünschte sie Gute Nacht und ging nach oben, ohne dass die Worte gefallen waren.
    Sie dachte: ›Warum habe ich es ihm nicht gesagt? Warum nicht? Sollte es Schwierigkeiten deswegen geben, kann ich mir das nie verzeihen. Ich werde es ihm sagen, wenn er nach oben kommt.‹
    Sie nahm sich ein Buch, konnte aber nicht lesen, so sehr belastete sie eine schlimme Vorahnung.
    Was, wenn Bellew sich von Clare scheiden ließ? Konnte er das? Es gab den Rechtsfall Rhinelander. Aber in Frankreich, in Paris, waren solche Dinge einfach zu erledigen. Wenn er sich scheiden ließe – Wenn Clare frei wäre – Aber bei allem, was passieren könnte, das jedenfalls wollte sie um keinen Preis. An diese Möglichkeit durfte sie gar nicht denken. Keinesfalls.
    Dann tauchte ein Gedanke auf, den sie zu verdrängen suchte. Wenn Clare stürbe! Dann – Das war zu schändlich! Es überhaupt zu denken, ja es sich zu wünschen! Sie fühlte sich matt und krank. Doch der Gedanke blieb. Sie konnte ihn nicht loswerden.
    Sie hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Dann geschlossen wurde. Brian war ausgegangen. Sie drückte das Gesicht ins Kissen, um zu weinen. Doch es kamen keine Tränen.
    Sie lag wach da und dachte an Vergangenes. An Brians Werben und ihre Heirat und Juniors Geburt. An die Zeit, als sie das Haus gekauft hatten, in dem sie so lange und so glücklich gelebt hatten. An die Zeit, als Ted seine Lungenentzündung überstanden hatte und sie wussten, dass er am Leben blieb. Und an andere süße, schmerzliche Erinnerungen, die nie wiederkommen würden.
    Vor allem hatte sie sich gewünscht und danach gestrebt, die angenehme Routine ihres Lebens ungestört beizubehalten. Und nun war Clare Kendry da hineingeschlüpft und mit ihr die Gefahr der Unbeständigkeit.
    ›Lieber Gott‹, betete sie, ›mach, dass es bald März wird.‹
    Nach einer Weile schlief sie ein.

vier
    Der nächste Morgen brachte einen Schneesturm, der den Tag über andauerte.
    Nach dem Frühstück, das fast schweigend verlaufen war und dessen Ende Irene Redfield erleichtert aufgenommen hatte, trödelte sie noch etwas unten in der Diele und schaute hinaus auf die rieselnden weichen Flocken. Sie beobachtete gerade, wie die hässlichen Schuhabdrücke vorbeieilender Passanten im Nu von Schnee bedeckt wurden, als Zulena zu ihr kam: »Telefon, Mrs. Redfield. Mrs. Bellew.«
    »Notier dir bitte die Nachricht, Zulena.«
    Obwohl Irene weiter aus dem Fenster starrte, sah sie jetzt nichts, Furcht hatte sie überwältigt – und Hoffnung. War etwas zwischen Clare und Bellew passiert? Und wenn, was? Und würde sie endlich ihre quälende Angst der letzten Wochen los sein? Oder sollte noch Weiteres und Schlimmeres folgen? Einen Moment lang rang sie mit sich, es schien ihr, als müsste sie hinter Zulena hereilen und mit
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