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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain
Autoren: Anne Perry
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ausbreiten. Der arme Angus hat versucht, die Sache so geheimzuhalten, wie nur irgend möglich, und ich glaube nicht, daß seine Freunde oder Kollegen etwas davon wußten.« Sie hob eine Schulter, eine kaum wahrnehmbare Geste der Verzweiflung. »Es ist überaus peinlich, wenn Verwandte… kriminell sind.« Sie sah ihn an, als sei es eine Art Erleichterung für sie gewesen, die Wahrheit endlich einmal laut aussprechen zu können. Vielleicht nahm sie auch einen Funken Ungläubigkeit in seinen Augen wahr.
    »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, daß es ihnen schwerfällt zu glauben, daß zwei Brüder so verschieden sein können, Mr. Monk. Ich konnte es früher selbst kaum glauben. Anfangs fürchtete ich, Angus könne von Eifersucht oder Einbildung getrieben sein und seinen Bruder deshalb in einem solchen Licht sehen. Aber wenn Sie der Sache nur ein wenig auf den Grund gehen, werden Sie schon bald selbst feststellen, daß Angus Caleb keineswegs zu schwarz gezeichnet hat, im Gegenteil, wahrscheinlich war sein Urteil noch viel zu freundlich.«
    Er zweifelte nicht an ihrer Aufrichtigkeit, hatte aber immer noch seine Vorbehalte, was Caleb Stonefields wahren Charakter betraf… Wahrscheinlich war er nicht mehr als ein Lebemann oder Spieler, jemand, den Angus nicht gern in sein schönes und komfortables Heim eingeladen hätte, am allerwenigsten vielleicht in Anwesenheit seiner Frau. Wenn Caleb ein Schürzenjäger war, hätte er niemals der Versuchung widerstehen können, in dieser Frau das Feuer zu entfachen, das möglicherweise hinter ihrem korrekten Äußeren glomm. Monk selbst konnte die Versuchung spüren. Ihr Mund hatte eine besondere Fülle, ihre Augen zeugten von Kühnheit und die Art, wie sie den Kopf hielt, von Kraft.
    »Warum glauben Sie, daß Ihr Schwager Ihrem Mann Schaden zugefügt haben könnte, Mrs. Stonefield? Nach all den langen Jahren, die sie sich kennen, und der treuen Ergebenheit Ihres Mannes, warum sollte er ihn jetzt so sehr hassen, daß er ihm Gewalt antun könnte? Was hat sich verändert?«
    »Meines Wissens nichts«, sagte sie unglücklich und starrte ins Feuer. In ihrer Stimme schwang kein Zweifel mit, kein Abflauen ihrer Gefühle.
    »Hat er Ihren Mann in irgendeiner Hinsicht bedroht, sei es finanziell, sei es beruflich?« fuhr Monk fort. »Ist es denkbar, daß er von irgendeinem Vergehen, vielleicht sogar von einem Verbrechen erfahren hat, in das Caleb verwickelt gewesen sein könnte? Und wenn ja, hätte er so etwas den Behörden gemeldet?«
    Ihr Blick flackerte, und sie sah ihm direkt in die Augen. »Ich weiß es nicht, Mr. Monk. Wahrscheinlich finden Sie meine Antworten sehr vage und meine Reaktionen gegenüber einem Mann, den ich nicht einmal kenne, ziemlich unversöhnlich. Natürlich ist das, was Sie da andeuten, möglich. Calebs Lebensweise deutet darauf hin, daß er in zahlreiche Verbrechen verstrickt ist. Genau darauf gründet sich ja meine Angst.«
    Hätte sie irgend etwas anderes behauptet, hätte er gewußt, daß sie log. Er hatte das jähe Begreifen in ihren Augen aufblitzen sehen, das und den Zweifel.
    »Sprechen Sie weiter«, sagte er mit für ihn ungewohnter Sanftheit.
    »Ich wünschte, ich könnte mich deutlicher ausdrücken«, antwortete sie mit einem kleinen, bedauernden Lächeln. Dann blickte sie mit erschreckender Leidenschaft zu ihm auf. »Mein Mann war kein Feigling, Mr. Monk, weder im moralischen noch im körperlichen Sinne, aber vor seinem Bruder hatte er Angst. Obwohl er großes Mitleid für ihn empfand und all die Jahre, die ich ihn kannte, versucht hat, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, lebte er in großer Furcht vor ihm.«
    Monk wartete darauf, daß sie weitersprach.
    Sie schien im Geiste auf die vergangenen Jahre zurückzublicken. »Ich habe die Veränderung in seinem Gesicht gesehen, wann immer er von Caleb sprach, habe gesehen, wie seine Augen dunkler wurden und sein Mund seine Qual verriet.« Sie holte tief Luft, und er konnte sehen, daß sie ganz leicht zitterte, als versuchte sie, die tiefe Angst, die sie quälte, unter Kontrolle zu halten. »Ich übertreibe nicht, Mr. Monk. Bitte glauben Sie mir, Caleb ist sowohl böse als auch gefährlich. Meine größte Angst ist, daß sein Haß ihn am Ende in den Wahnsinn getrieben und er Angus getötet haben könnte. Natürlich hoffe ich, daß er noch lebt… und doch quält mich die Angst, daß es bereits zu spät ist. Mein Herz sagt mir das eine und mein Verstand das andere.« Schließlich schaute sie wieder zu ihm
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