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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
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Leben gerettet«, protestierte Cunomorus kläglich.
    Alebin winkte ab. »Interessiert mich nicht. Du legst ihn in Ketten und erklärst dich zu meinem Untertan – oder du fliegst raus. Deine Wahl.«
    David sagte kein Wort, als der alte König ihm das schwere Eisen um die Handgelenke legte, verzog keine Miene und ließ sich nicht zu Vorwürfen hinreißen. Schweigend, mit hoch erhobenem Kopf, ertrug er diese Demütigung.
    Alebin wandte sich Nadja zu. »Verabschiede dich von deinem Liebsten!«, befahl er. »Du wirst ihn nie wiedersehen. Dort, wo er jetzt hinkommt, wird ihm Energie entzogen, die ich gut benötigen kann. So lange, bis er leer ist.«
    »Verfluchtes Schwein!«, sagte Nadja.
    »Na los: Küsschen, Küsschen!« Die Augen des rothaarigen Elfen funkelten erwartungsvoll.
    Nadja wandte sich David zu, doch der schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie verstand, was er meinte. Tapfer bezwang sie all ihre Sehnsüchte, verzichtete darauf, den Mann in die Arme zu schließen, dem ihr ganzes Herz gehörte. »Ich hole dich da raus!«, sagte sie nur. Sie hatte es schon früher getan. In Venedig und in Tokio. Sie hatte sich mit Göttern und Dämonen angelegt. Mit Alebin würde sie auch noch fertig.
    Solange es nur ging, hielt sie ihren Blick auf David gerichtet, begleitete seinen Weg in die Gefangenschaft. Im Moment konnte sie nichts für ihn tun – außer damit anzufangen, über einen Fluchtplan nachzudenken.
    »Mein Sohn!«, wandte sie sich schließlich an Alebin. »Ich will Talamh sehen!«
    Der rothaarige Elf grinste und wies mit einer spöttischen Verbeugung auf den Palasteingang. »Da lang!«
    Kein Weg war einer Mutter zu weit, keine Mühe zu viel und keine Gefahr zu groß, wenn es um ihr Kind ging. Doch die paar Schritte von der Zimmertür bis zur Wiege schien Nadja nicht bewältigen zu können. Sie zitterte am ganzen Leib, während sie an der Tür stehen blieb.
    Nadja hörte ihn brabbeln; vergnügt und kräftig klang sein »Dadada!«, und auch die rudernden Speckärmchen, die manchmal über dem Wiegenrand erschienen, sahen gesund und rosig aus – anders als das restliche Leben, das einst in diesem Zimmer gewesen war. Eine Kletterrose hatte die Wände erobert. Wer es nicht besser wusste, hätte das üppige, verschlungene Grau für eine erstklassige Steinmetzarbeit gehalten.
    »Was ist? Willst du ihn sehen oder nicht?«, fragte Alebin ungeduldig. »Ich habe keine Lust, den ganzen Tag hier herumzustehen!«
    Es war die Angst, dass der Elf es sich anders überlegen könnte, die Nadja antrieb. Eiligen Schrittes ging sie zu Talamhs Wiege. Hier und da spross ein grüner Trieb aus dem Holz, und auf der Babydecke aus verwobenen Blüten, oben ganz am Rand, wuchs ein Gänseblümchen. Nadja zog sie vorsichtig zurück.
    Und da lag er – der Sohn des Frühlingszwielichts. Mit großen Augen sah er zu Nadja hoch; staunend, wie ihr es schien. Sie hörte ihn atmen, sah die kleinen Finger, die wie abwesend über sein Hemd kratzten. Er merkte es nicht. Zu sehr war er mit Gucken beschäftigt.
    Nadja standen Tränen in den Augen. »Talamh!«, wisperte sie.
    »Amm!«, machte er, ruderte ungeduldig, versuchte es noch mal. »A-mmma!«
    Er gab sich wirklich Mühe. Grübchen erschienen auf seiner Babystirn, so arbeitete es dahinter. Seine Lippen bewegten sich unablässig. Und dann gelang es ihm.
    »Mamm-ma!«
    Er streckte ihr die Händchen entgegen, als Nadja ihn schluchzend aus der Wiege hob. Endlich! Endlich hatte sie ihr Baby zurück! Dankbar nahm sie ihn in die Arme, wiegte ihn, bedeckte sein Gesicht mit zärtlichen Küssen. »Talamh!«, flüsterte sie erstickt. »Talamh!«
    »Dadada!«, jauchzte er, und plötzlich lag ein merkwürdiges Knistern im Raum. Nadja hörte Alebin scharf einatmen. Sie sah nur einen Moment auf – länger konnte sie den Blick nicht von ihrem Kind lassen –, doch mit diesem einen Blick erfasste sie es.
    An der grauen Kletterpflanze bröckelten Stücke ab; winzig klein, überall. Unter ihnen drängte frisches Grün heraus. Blättchen formten sich, Knospen platzten auf und nahmen Farbe an.
    Lebten.
    In nicht einmal zwei Minuten hatte die versteinerte Rose von Lyonesse ein wahres Blütenmeer ausgetrieben, das den Raum mit zartem Duft erfüllte. Und mit Hoffnung.
    Nadja beugte sich lächelnd über ihren Sohn, küsste ihn und flüsterte: »Alles wird gut!«
    ENDE
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