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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Autoren: Jana Simon
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sie sich noch einmal in die Stasigeschichte hineinbegeben. Ihre ursprüngliche Betroffenheit war abgeklungen und kam dadurch noch einmal hoch. Übrigens hat sich Frank Schirrmacher bei der Stasigeschichte damals anständig verhalten, er sagte, da sei ja nicht viel gewesen.
    JS     Bei der Trauerfeier und in den Nachrufen bezogen sich viele noch einmal darauf.
    GW     Für Christa stand das nicht mehr im Vordergrund. Es war im Grunde auch nicht viel gewesen.
    JS     Gibt es etwas, von dem du im Nachhinein sagst, das hättet ihr anders machen sollen?
    GW     Ich weiß nicht. Manchmal dachten wir, wir hätten weggehen sollen. Aber wir wollten die Kinder und Christas Vater nicht alleinlassen. Und mit der ganzen Familie die DDR zu verlassen wäre sehr schwer gewesen, sehr aufwendig – und wohin …
    Mein Großvater sieht nun sehr erschöpft aus, ab und zu holt er Bücher aus dem Nebenzimmer, um mir etwas darin zu zeigen oder um etwas zu suchen. Noch im Sommer 2011 feierten wir in Woserin die diamantene Hochzeit meiner Großeltern. Das letzte große gemeinsame Familienfest.
    JS     Es ging Oma das ganze vergangene Jahr schon sehr schlecht.
    GW     Eigentlich hat sie sich nie von der Knieoperation 2008 erholt. Von da an musste sie am Stock laufen. Das hat sie gestört, und ihr Kreuz tat weh. Es ist ganz erstaunlich, was sie trotzdem noch alles geschafft hat. Sie nahm 2010 zwei Preise entgegen und bestritt mit Enthusiasmus eine große Veranstaltung im Schloss Neuhardenberg. Eine Lesung in Hamburg war dann schon sehr anstrengend für sie. Wir übernachteten in einem Hotel. Morgens kam sie kaum aus dem Bett, weil es viel zu tief lag. Solche Dinge. Sie konnte sich nicht mehr gut bewegen, das schränkte sie sehr ein. Im Februar 2011 reiste sie noch ein letztes Mal mit zwei Krücken nach Dresden und las dort. Abends fuhr sie aber gleich wieder heim. Im Nachhinein staune ich auch, dass sie Stadt der Engel zu Ende schreiben konnte. Sie hat bis März 2010 noch viel daran gearbeitet.
    JS     Vielleicht hat sie beim Arbeiten die Anstrengung nicht gemerkt, sondern erst danach.
    GW     Gemerkt hat sie sie schon. Das ganze äußere Leben hielt ich aufrecht, das habe ich immer gemacht. Der richtige Einbruch kam im Sommer 2011 , von da an musste sie betreut werden. Von anderen auf die Toilette gebracht werden. Das war furchtbar. Das widersprach ihr völlig.
    JS     Sie war eine stolze Frau.
    GW     Eine in sich ruhende Frau. Stolz ist nicht der richtige Ausdruck. Sie hatte etwas ganz Eigenes. Das ist es, glaube ich, was unsere Beziehung ausmachte, dass ich wusste und respektierte, dass sie etwas ganz Eigenes hatte. Ich habe damals nie ihre Tagebücher gelesen. Nie. In ihre Manuskripte habe ich immer wieder einmal, manchmal auch heimlich hineingeschaut. Ich habe sehr vieles angestoßen wie Leibhaftig .
    JS     Was planst du in der nächsten Zeit?
    GW     Ich möchte den Briefwechsel mit dem Maler Carlfriedrich Claus 135 kommentiert veröffentlichen; das liest sich wie eine persönliche Geschichte der DDR . Aber schon die erfassten Briefe ergeben tausend Seiten …
    JS     Du möchtest auch eine Gesellschaft oder Stiftung ins Leben rufen, die Omas Erbe pflegt.
    GW     Hier werden die Töchter die Initiative ergreifen, eine Christa-Wolf-Gesellschaft zu gründen. Es gibt dazu auch ein Projekt, in der Humboldt-Universität mit unserer umfangreichen Bibliothek Räume für ein öffentliches Archiv zu errichten, wie es das für Heiner Müller dort gibt. Sonst geht alles verloren.
    JS     Hat Oma einmal gesagt, was sie sich nach ihrem Tod wünscht?
    GW     Nein, das hat sie nicht interessiert. Mich schon eher. Zum Beispiel kümmerten wir uns nie um den Friedhof. Als Günter Gaus begraben wurde, sagte ich zu ihr: »Ruf doch einmal beim Dorotheenstädtischen Friedhof an. Du kennst doch den Pastor.« Das hat sie nie gemacht. Da war sie scheu, das wollte sie nicht. Sie ist nun dort beerdigt.
    JS     Wenn du heute allein in Woserin oder in der Berliner Wohnung bist, vermisst du Christa sehr oder kannst du durch das Lesen ihrer Sachen und die Beschäftigung mit ihr den Verlust ein wenig abmildern?
    GW     Ich weiß gar nicht, wie ich das formulieren soll. Sie hat einmal geschrieben, dass sie mich gar nicht traurig kenne. Sie kenne mich nur bestürzt und wisse nicht, ob ich trauern könne. Ich weiß nicht genau, was sie damit meint. Wenn eine Freundin gestorben ist, hat sie sicher
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