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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Autoren: Jana Simon
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Feministin vom Dienst auf.
    CW     Gewiss war sie wichtig. Aber zu ihrer Zeitschrift Emma hatte ich kaum einen Bezugspunkt.
    GW     In der DDR erschien zu der Zeit gute Literatur von Frauen. Zum Beispiel eine Geschichte von Helga Königsdorf 120 , darin stürzt die Hauptfigur ihren Mann den Balkon hinunter. Königsdorf war Mathematikerin, sie fing ein neues Leben an und begann zu schreiben.
    CW     Sie war eine von denen, die sich radikal äußerten.
    GW     Christa wurde später wegen Kassandra angegriffen. Den Hauptangriff führte der Leiter der Zeitschrift Sinn und Form , ein wüster Ideologe. Er warf ihr vor, sie verschiebe die Klassenfrage zugunsten der Feminismus frage …
    CW     … nicht nur verschiebe, sondern hebe sie auf. Der war sauer. Da konnte man immer auf August Bebel verweisen: Die Frau und der Sozialismus .
    JS      (zu CW ) Würdest du dich als Feministin bezeichnen?
    CW     Nein, so habe ich mich nie bezeichnet. Feminismus war für mich wichtig, ich habe sehr viel davon aufgenommen. Aber in der DDR gab es keinen Feminismus. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich so bezeichnen könnte wie die Feministinnen im Westen.
    JS     Warum gab es keinen Feminismus in der DDR ?
    CW     Neben der Partei durfte es keine andere politische Strömung geben.
    GW     Die soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Mann und Frau war bei uns Staatsdoktrin. Im Westen nicht.
    JS     Aber wirkliche Gleichberechtigung gab es trotzdem nicht!
    CW     Nein, nein!
    JS     Heute existiert wieder eine Gegenbewegung junger Frauen, die sich von Alice Schwarzers Feminismus emanzipieren wollen. Und im Osten arbeiten noch immer mehr Frauen als im Westen Deutschlands.
    CW     Ja, das zeigt die Statistik. Ich wundere mich darüber, dass sich so eine Tradition fortsetzt.
    JS     Was dir vorgelebt wird, prägt dich. Im Osten haben fast alle Frauen gearbeitet – auch die Mütter. Ich habe einmal ein Porträt über Eva Herman, die ehemalige Tagesschau-Sprecherin, geschrieben. 121 Sie hat Bücher darüber veröffentlicht, wie negativ sich die Berufstätigkeit der Mütter auf die Kinder auswirkt. Ich musste ihr sagen, dass ich es immer gut fand, dass meine Mutter arbeiten ging. Ich hatte Respekt vor dem, was sie machte, und dass sie ihr eigenes Leben führte und Geld verdiente. Das konnte Eva Herman nicht verstehen, es lag außerhalb ihres Weltbildes. Dabei war und ist sie selbst eine Karrierefrau. Ich finde es interessant, dass es heute diesen Backlash 122 gibt: Frauen zurück an den Herd!
    CW     Ich glaube, der Höhepunkt dieser Bewegung ist schon vorbei. Sehr komisch ist doch, dass Christa Müller, die jetzige Frau des Linken-Politikers Oskar Lafontaine, dieses alte Frauenbild lebt.
    JS     Trotzdem würden die wenigsten aus meiner Generation sich als Feministinnen bezeichnen. Das klingt nach Emanze, irgendwie freudlos.
    CW     Das wird als Ideologie angesehen.
    GW     Wir nahmen vor dem Mauerfall einmal an einem Seminar über weibliches Schreiben in Graz teil. Dort traten richtige Klischee-Feministinnen in Latzhosen auf.
    CW     Auf einer Veranstaltung waren auch die Schriftsteller Elfriede Jelinek und Erich Fried 123 dabei. Wir saßen auf dem Podium, und neben mir hockte Fried. Eine Feministin aus dem Saal vertrat sehr kühne Thesen – Blödsinn. Da platzte Fried der Kragen, er schrie: »Sind Sie denn verrückt!« Da kam aus dem Saal eine Gegenwelle. Ich schaute mich um, wohin man eventuell flüchten könnte, falls das Podium gestürmt werden sollte. Fried war danach ganz geknickt. Er sagte: »Wie kann ich denn so was sagen? Ich bin doch kein Macho!« Ich: »Mensch, Erich, hör doch auf, du bist kein Macho. Du hast doch recht!« Er konnte sich nicht beruhigen, haderte noch den ganzen Abend mit sich, wie ihm so etwas passieren konnte.
    GW     Fried war übrigens unheimlich beliebt bei Frauen. Er ging schon am Stock, und noch immer suchten hübsche Frauen seine Nähe.
    CW     Wenn ich manchmal an meinem Durcheinander verzweifle, denke ich an Fried.
    JS     Marcel Reich-Ranicki sagte einmal, wenn eine Autorin Kinder bekäme, könne sie nicht mehr schreiben. Muss ich mir Sorgen machen?
    CW     Ja, das hat er einmal gesagt. Das ist Quatsch. Aber es gibt viele Schriftstellerinnen, die keine Kinder haben. Simone de Beauvoir meinte zum Beispiel, man könne nicht gleichzeitig Kinder haben und Schriftstellerin sein. Es gibt einen
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