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Seelennoete

Seelennoete

Titel: Seelennoete
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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von all dem tun werde. Freunde tun so etwas nicht. Und ich möchte wirklich dein Freund sein, Sam. Ich meine das ernst.“
    Sam sah zu Boden.
    Abernathy ließ ihm ein paar Sekunden Zeit.
    „Du weißt nicht, wie du mit dieser Situation umgehen sollst. Auch das kann ich verstehen. Pass auf, hier ist mein Vorschlag. Wir machen jetzt ein kleines Experiment. Wenn du gut mitarbeitest, werde ich Laine und dir Zeit geben, allein miteinander zu reden. Einverstanden?“
    Sam hob den Kopf. „Und was machen wir?“
    „Es ist nichts Schlimmes. Du brauchst keine Angst davor zu haben. Danach darfst du zu deiner Freundin. Vertrauen gegen Vertrauen.“
    Sam sah zu Laine hinüber, die sie beide beobachtete.
     „Ich werde dir nicht wehtun, Sam“, sagte Abernathy. „Es wird anders sein, als beim letzten Mal. Du kannst mir wirklich glauben. Nur ein kurzer Versuch. Vielleicht funktioniert es auch gar nicht. Wir werden sehen.“
    Abernathy nahm Sam am Arm und zog ihn mit sich zu einer kleinen Stahltür. Er öffnete sie und ließ Sam eintreten. Sam sah sich überrascht um. Es gab zwei rostrote Sessel, ein Sofa und einen kleinen Tisch. Ein Fernseher stand auf einem Sideboard. Zwei Tischlampen verbreiteten warmes Licht und ein weicher Teppich lag auf dem Boden.
    „Was ist das hier?“, fragte Sam.
    „Du hast etwas anderes erwartet, nicht wahr? Du wirst schon noch einsehen, dass ich mich geändert habe. Das ist unser Wohnzimmer. Hier werden wir jetzt ab und zu miteinander reden. Warst du schon mal in einem Wohnzimmer, Sam?“
    „Nein“, sagte Sam.
    „Dachte ich mir, dass Laine und Bill dich bisher nicht eingeladen haben. Dann hast du bestimmt noch nie in einem Sessel gesessen. Hier, nimm Platz. Das ist sehr gemütlich.“
    Abernathy wies auf einen der schweren Ohrensessel. Sam kam langsam näher. Er setzte sich, wirkte aber immer noch misstrauisch. Abernathy nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn freundlich an.
    „Und, wie fühlt sich das an?“
    „Ganz gut“, sagte Sam und befühlte mit der Hand den samtenen Stoff. „Weich.“
    Abernathy lächelte. Das war das Besondere an Sam. In ihm gab es erheblich weniger Widerstand gegen Neues, als in den verzogenen Gören heutzutage, die bei jeder Kleinigkeit mit Trotz reagierten. Abernathy rechnete sich für seinen Plan beste Chancen aus.  
    „Das ist schön, mein lieber Junge. Ich möchte, dass du dich jetzt entspannst. Wir werden nur ein bisschen reden, nichts weiter. Hör mir einfach zu.“
    Abernathy begann ruhig zu sprechen, und Sam hörte zu. Der Sessel war bequem und Sam ließ sich etwas tiefer in das Polster sinken. Abernathy registrierte das mit einem kaum sichtbaren Lächeln und sprach weiter. Es schien besser zu funktionieren, als er zu hoffen gewagt hatte. Er redete in beruhigendem, monotonem Tonfall und wartete auf den richtigen Moment.
    „… fühlst du, wie weich der Sessel ist, Sam. Er hält dich. Du kannst ganz entspannt darin liegen. Du spürst, wie deine Beine schwer werden und deine Arme sind so schwer, dass du sie nicht mehr anheben kannst …“
     Sams Blick wurde ein wenig glasig, als Abernathy immer weiter sprach.
    „… und jetzt zähle ich von drei rückwärts und du wirst bei jeder Zahl müder, du kannst deine Augen nicht mehr offen halten und bei eins schläfst du tief und entspannt ein … drei … zwei … eins.“
    Sams Kopf sank gegen die Sessellehne. Abernathy rutschte näher an ihn heran.
    „Wenn ich deine Stirn berühre, dann schläfst du noch tiefer ein, Sam. Lass dich ganz fallen. Hier kann dir niemand etwas tun ... so ist es gut … wenn dein Körper sich zurückverwandeln will, dann lass es einfach geschehen.“
    Abernathy berührte Sams Stirn mit dem Finger.
    „Ich frage dich jetzt ein paar Dinge und du kannst ganz entspannt darauf antworten. Du erinnerst dich dabei an alles, auch an Dinge, die du vergessen wolltest, weil sie schmerzhaft waren. Jetzt kannst du alles sagen, weil es ungefährlich ist, weil es die Vergangenheit ist. Es sind nur noch Bilder, nichts weiter. Verstehst du das?“
    „Ja“, sagte Sam leise.
    „Gut. Wann hast du deine Familie zuletzt gesehen?“, fragte Abernathy.
    „Ich habe meine Mutter letztes Jahr gesehen.“
    „Und dann nicht mehr?“
    „Nein.“
    „Und dein Vater?“
    „Er ist tot.“
    „Wie ist das passiert?“
    „Es war meine Schuld. Wegen mir sind wir zu nah zu den Menschen geschwommen. Und deshalb hat der Taucher auf ihn geschossen“, flüsterte Sam und eine Träne lief aus seinen geschlossenen
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