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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss
Autoren: Lynn Raven
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fischschwänzige Narieden oder die Namen ihrer Liebsten in die Haut stechen, aber so etwas hatte er noch nie gesehen. Als er sich vorbeugte, um die seltsamen Zeichen genauer zu betrachten, stieß der Gefangene jäh einen klagenden Laut aus, schlang die Arme um seine Brust, wie um sich vor einer Berührung zu schützen, wandte sich von ihm ab, soweit seine Fesseln es zuließen, und kauerte sich noch enger zusammen. Réfens Blick blieb an den Handgelenken des Mannes hängen, die von eisernen Ringen umschlossen waren. Nur beiläufig registrierte er die Froststerne, die die Ketten überzogen, die hinter dem Gefangenen in die Wand eingelassen waren und ihm kaum Bewegungsfreiheit ließen, während er verwundert die Brauen hob. Eisenringe, nicht die üblichen Bandeisen, die die Haut von den Gelenken scheuerten und oft hässliche Narben hinterließen. Erst auf den zweiten Blick wurde ihm bewusst, dass die Fesseln weder ein Schloss noch ein Scharnier aufwiesen. Was hatte das zu bedeuten?
    » Hauptmann! « Ledans Stimme ließ ihn aufblicken. Unruhig immer wieder den Gang entlangspähend, stand der Krieger in der Tür. » Die Sonne steht schon tief! Die Grauen werden bald hier sein. «
    Mit einem Nicken und einer Geste gab er dem Mann zu verstehen, dass er die Zelle gleich verlassen würde, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Gefangenen zuwandte und ihn abermals zu sich umdrehte. Als er sich diesmal über ihn beugte, fiel das Licht der Fackel ungehindert auf das Gesicht des Mannes und Réfen fluchte. In dem rötlichen Schein blitzten die Edelsteintätowierungen der Jarhaal über und in der rechten Braue und an der Schläfe des Gefangenen. War der Kerl doch ein Spion? Könnten Selorans Informationen demnach wahrhaftig zutreffen und die Nordreiche planten tatsächlich einen Krieg gegen die Korun? Was aber konnten die Jarhaal damit zu schaffen haben? Ihre Sippen lebten irgendwo weit in den zerklüfteten GônTheyraan, wo ihre Bergstadt Adreshaal in die Hänge eines unzugänglichen Felsentals hineingebaut sein sollte. Sie trieben Handel mit den Völkern der Jerden und Zonara, ihren direkten Nachbarn, interessierten sich gewöhnlich aber nicht für die Politik der anderen Reiche. Soweit Réfen wusste, galten sie als Krieger, deren Fähigkeiten mit Onadesh und Zerda nicht zu unterschätzen waren, gleichzeitig brachte man ihnen auch als Künstler und Gelehrte Respekt entgegen. Wie waren sie in all das verwickelt? Und vor allem: Wenn die Nordreiche tatsächlich einen Spion nach Kahel gesandt hatten, weshalb hatten sie nicht einen aus dem Volk der Jerden oder der Saln ausgewählt, die mit ihrer hellen Haut und den dunklen Haaren eher einem Korun ähnelten? Ein Jarhaal musste unweigerlich auffallen, hatten sie doch gewöhnlich eine dunklere Hautfarbe, und zudem trug jeder einzelne von ihnen jene glitzernden Edelsteintätowierungen in und über der rechten Braue, die sich in eleganten Linien bis über die Schläfe hinzogen.
    Die Lippen zu einem harten Strich zusammengepresst, starrte er auf den Mann hinab. Verdammt, das ergab alles keinen Sinn. Er brauchte ein paar Antworten. Und er würde sie bekommen. Jetzt!
    » Los, Kerl! Mach die Augen auf! « Réfen packte den Gefangenen rau am Kinn, ohne dessen schwaches Ächzen zu beachten, und drehte sein Gesicht endgültig ins Licht– und sog scharf den Atem ein. Das war nicht möglich! Aber der unstete Feuerschein narrte ihn nicht. Das dunkle Haar des Mannes war zurückgefallen und verbarg nicht länger die goldenen Edelsteintätowierungen, die sich im zuckenden Licht der Fackel blitzend sein Ohrläppchen hinaufwanden.
    » KâlTeiréen. « Bei den Sternen, von den KâlTeiréen erzählten Legenden. Männer und Frauen, deren Seele sich mit der eines anderen Lebewesens verbunden hatte. Es war in den Nordreichen ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Stimme eines KâlTeiréen gehört werden musste, wenn er oder sie dies verlangte. Unter hunderten Jarhaal wurde nur einer geboren, der von den Göttern für ein Band mit einer anderen Seele auserwählt war. Und man erzählte sich, dass ein KâlTeiréen keine Falsch kannte. Doch wenn dies stimmte…– bedeutete es, dass dieser Mann kein Spion sein konnte. Weshalb war er dann hier? Wusste Seloran, wen sie hatte in Ketten legen lassen? Er ballte die Faust. Wie sollte sie nicht?– Was beim Licht der Sterne ging hier vor?
    » Hauptmann! Ihr müsst gehen! « Réfen hörte Ledans Worte nur wie aus weiter Ferne. Es gab vermutlich außer Seloran nur einen
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