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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss
Autoren: Lynn Raven
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Menschen, der ihm helfen konnte, dies alles zu verstehen. Und der lag hier in der Kälte.
    » Hauptmann! « , drängte Ledan erneut von der Tür her.
    » Nicht jetzt! « Unwillig bedeutete Réfen ihm zu schweigen und beugte sich erneut über den Gefangenen. Mit sehr viel mehr Respekt als zuvor fasste er den Mann bei den Schultern, zog ihn vom Boden hoch und lehnte ihn gegen die Wand. Das zerrissene Hemd war über seiner Brust weiter auseinandergeglitten und halb über den Arm herabgerutscht, sodass mehr von den ockerfarbenen Linien, die sich scharf von seiner bleichen Haut abhoben, zu sehen war. Verwirrt betrachtete Réfen die ineinander verwobenen Muster genauer, die vom Schlüsselbein abwärts über die linke Hälfte der Brust, die Rippen bis hinunter zu den Flanken des Gefangenen führten, wo sie zur Hüfte hin schmal zuliefen und unter dem Bund der Hose verschwanden. Sie erstreckten sich sogar über die Schulter und einen Teil des Oberarms. Nein, das waren keine einfachen Ornamente, wie manche Männer sie sich in die Haut stechen ließen, um sich zu schmücken. Vielmehr erinnerten sie Réfen an altertümliche Runen, wie er sie schon in uralten Codices gesehen hatte. Und eine dieser Runen, die, die sich direkt über dem Herzen des Mannes befand und in der alle anderen ihren Ursprung zu haben schienen, war durch einen tiefen Schnitt, dessen Ränder rot geschwollen waren, zerstört worden.
    » Hauptmann! Es ist keine Zeit mehr! « Wieder Ledans Stimme. Réfen beachtete ihn nicht, sondern fasste den Gefangenen bei den Schultern und schüttelte ihn leicht. » Könnt ihr mich hören? Kommt zu euch! « Nur ein Stöhnen antwortete ihm. Haltlos rollte der Kopf zur Seite.
    Réfens Mund wurde schmal. Dann schlug er zu. Ihm blieb offensichtlich keine andere Wahl. Vier Mal traf seine Hand klatschend die Wangen des Jarhaal, dann flogen dessen Lider mit einem keuchenden Schrei auf und Réfen sog zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit entsetzt den Atem ein. Die Augen des Mannes waren von einem hellen Silberton. Grünviolette Flecken, wie winzige Splitter eines makellosen Sodijan, glitzerten um die schwarze Mitte herum. Doch das, was Réfen erschreckte, war der dunkle Ring, der das helle Silber der Pupille vom Weiß des Augapfels trennte: ein Dämonenring.
    Er schluckte hart, verdrängte das Entsetzen und beugte sich näher zu dem Gefangenen. » Könnt ihr mich hören? «
    Für den Bruchteil eines Atemzuges schien etwas wie ein Flackern im Blick des Jarhaal zu sein, doch dann war es erloschen und Réfen sah nichts als nackte Angst. Abermals fasste er den Mann bei den Schultern. » Wer seid ihr? Was wollt ihr in Kahel? «
    Die hellen Augen huschten durch die Kerkerzelle, kehrten zu Réfens Gesicht zurück, noch immer erschreckend stumpf.
    Sein Griff verstärkte sich. » Antwortet mir! Ihr seid ein KâlTeiréen aus dem Volk der Jarhaal, nicht wahr? Sagt mir euren Namen! «
    Wieder war da etwas in den silbernen Tiefen, ein kurzes Lodern. Die dunklen Brauen zogen sich zusammen und die Lider schlossen sich wie unter Schmerzen. Dann rann auf einmal ein Zittern durch den Körper des Gefangenen. Er riss sich von Réfen los und warf sich zur Seite, kauerte sich vornüber und wiegte sich unter dem leisen Scharren der Ketten vor und zurück, die Fäuste gegen die Schläfen gepresst. Der Laut, der aus seiner Kehle kam, verursachte Réfen eine Gänsehaut.
    Schwachsinnig! Bei den Sternen– was auch immer die Grauen ihm angetan hatten, es hatte den Jarhaal den Verstand gekostet.
    » Hauptmann! Die Grauen… « Der Rest von Ledans Worten ging in dem Heulen unter, mit dem der Gefangene ohne Vorwarnung herumfuhr und nach Réfens Dolch langte.
    Die Ketten spannten sich mit einem Knall, während Réfen sich selbst ob seiner Unvorsichtigkeit verfluchte und noch versuchte, dem Mann auszuweichen, doch da hatte der andere die Waffe schon an sich gebracht. Mehrere Augenblicke rangen sie um die Klinge. Réfen hörte Ledan hinter sich, zischte, als der Dolch im gleichen Moment tief in seine Handfläche drang, dann gelang es ihm, den Griff des Mannes zu brechen. Klirrend schlitterte die Klinge über die Steinplatten, er stieß den Gefangenen zurück und gegen die Wand, wo er mit einem keuchenden Wimmern liegenblieb.
    Der Schmerz war in Réfens Brust zurückgekehrt, die Luft schien ihm zu dünn zum Atmen. Sein Blick fuhr in die Höhe als Ledans Schatten unvermittelt auf ihn fiel– und begegnete den silbernen Augen des Jarhaal. Das Flackern war wieder in
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