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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Barbara Wood
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Kräuterheilkunde bis zur Chirurgie und Anatomie. In einigen Tagen, nach der Einweihung, würde Andreas das Werk kopieren lassen, so daß auch Ärzte und Studenten der Medizin in anderen Städten der Welt daraus Nutzen ziehen konnten.
    Hinter sich hörte Selene ein leises Weinen. Sie drehte sich. Pindar wiegte den quengelnden kleinen Julius in Schlaf. Seit dem erschreckenden Zwischenfall mit Marcella einige Tage nach der Geburt des Kindes – Julius war plötzlich erkrankt, sein winziges Gesichtchen hatte sich bläulich verfärbt – ließ Pindar den Kleinen nicht mehr aus den Augen. Marcella hatte man am nächsten Tag tot in ihrem Bad gefunden, die Pulsadern aufgeschnitten. In einem hinterlassenen Brief hatte sie um Vergebung gebeten.
    Beruhten die Gerüchte auf Wahrheit? War Agrippina wirklich außer sich vor Zorn über die Geburt von Selenes Sohn? Hatte sie tatsächlich gesagt, sie sei der Meinung, die Geburt im Heiligtum des göttlichen Julius sei eine schlaue Inszenierung gewesen? Gewiß, sie war ein gutes Omen gewesen. Die Priester hatten sogar darüber hinweggesehen, daß das alte Tabu verletzt worden war, und hatten erklärt, die Geburt des Kindes im Tempel des göttlichen Julius wäre ein gutes Zeichen.
    Sie wäre dort, zu Füßen des Standbilds ihres Großvaters, vielleicht gestorben, wäre Pindar nicht gewesen.
    Die Gefühle, die sie Pindar seit jenem Tag entgegenbrachte, konnte sie sich kaum selber erklären. Eine tiefe Verbindung bestand zwischen ihnen, die sie nicht benennen konnte. Pindar hatte ihrem Kind in die Welt geholfen, er hatte sie in ihrem Schmerz getröstet und gehalten. Dafür fühlte sie sich ihm herzlich zugeneigt, wie man sich einem guten Freund oder Verwandten zugeneigt fühlt. Aber das war nicht alles; es war noch etwas Tieferes da, ein inniges Gefühl der Zugehörigkeit, das dennoch diffus und unscharf blieb.
    Selene schüttelte den Kopf. So vieles ging ihr heute durch den Sinn! Sie war so aufgeregt wie eine junge Braut, so erwartungsvoll wie damals, an ihrem sechzehnten Geburtstag. Sie fühlte Meras Geist an ihrer Seite, sie spürte ihr Staunen und ihre Verwunderung über dieses Haus, wo so viele Menschen zugleich behandelt und gepflegt werden konnten. Beifällige Bewunderung strahlte von Meras Geist aus, aber auch eine Spur Skepsis, als wollte sie sagen: Kann das wirklich gutgehen?
    Nur Wulfs Geist konnte Selene nicht wahrnehmen. Hieß das, daß er noch am Leben war? War er vielleicht tatsächlich der Rebellenführer in den germanischen Wäldern? Hat Ulrika ihn gefunden? Waren sie endlich vereint und kämpften Seite an Seite?
    Selene schlang beide Arme um ihren Körper und atmete tief. Morgen würde ihr Leben einen neuen Anfang nehmen. Ihre lange Irrfahrt war zu Ende; ein Abschnitt ihres Lebens war abgeschlossen und ein neuer begann. Morgen –
    »Selene!«
    Sie drehte sich um.
    Andreas eilte atemlos in die Bibliothek. »Paulina!« stieß er hervor. »Sie ist gefangengesetzt worden.«
     
    Sie ließen Pindar mit dem Kind auf der Insel zurück und eilten zum Gefängnis auf dem Kapitol. Dort hörten sie auf ihre Erkundigungen mit Entsetzen, daß man Paulina in die Verliese unter dem Circus Maximus gebracht hatte.
    »Große Götter, warum denn?« fragte Andreas.
    Der Beamte zuckte die Achseln. »Sie wird des Verrats beschuldigt.«
    »Des Verrats?«
    »Aber warum hat man sie in den Circus Maximus gebracht?« fragte Selene.
    Der Mann ging einen Stapel Wachstäfelchen durch, auf denen die angesetzten Hinrichtungen verzeichnet waren. »Sie wurde verurteilt, mit den Juden zu sterben.«
    Es gab eine jüdische Sekte, deren Mitglieder sich Nazarener nannten und die sich weigerten, den Kaiser als Gott zu verehren. Schon waren die ersten dieser Hochverräter in der Arena von wilden Hunden und Bären zerfleischt worden – zum abschreckenden Beispiel für ihre Gesinnungsgenossen. Am folgenden Tag sollte ein Spektakel stattfinden, von dem man wußte, daß Claudius es besonders schätzte – die Verräter sollten in der Arena an Kreuzen aufgehängt, mit Pech übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt werden.
    »Aber Paulina Valeria hat ja noch gar keine Gerichtsverhandlung gehabt«, protestierte Andreas.
    Der Gefängniswärter warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu.
    »Aber warum soll sie hingerichtet werden?« fragte Selene, blaß bis in die Lippen. »Paulina gehört nicht zu dieser Sekte. Das weiß Claudius.«
    »Der Befehl kam nicht vom Kaiser«, versetzte der Mann. »Sie ist auf
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