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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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ich. Hat irgendeinen Mist gebaut und ist in die Mühle der Behörden geraten. Scheint keiner von diesen Unruhestiftern zu sein, die alle Brücken hinter sich abgebrochen haben.«
    »Ach? Was hat er denn gemacht?« Aldís sah, wie der Zigarettenrauch in der Dunkelheit verschwand und noch einmal aufleuchtete, als unten an der Einfahrt Autoscheinwerfer auftauchten.
    »Was Schlimmes. Was wirklich Schlimmes.«
    Hákon zog ein letztes Mal an seiner Zigarette. Er drehte selbst, und Aldís bewunderte jedes Mal, wie er die Glut bis an seine Fingerkuppen saugte.
    Sie schwiegen und verfolgten, wie der große, rostige Ami-Schlitten auf den Hof rollte. Dann gingen die Autoscheinwerfer aus, und alles wurde wieder dunkel, bis die Wagentüren aufgestoßen wurden und das Licht im Innenraum anging. Sie sahen nicht genau, wer die beiden Personen waren, aber eine musste Veigar sein. Die andere war schlanker und bewegte sich viel jungenhafter. Als die Türen wieder zufielen, verwandelten sich die beiden Gestalten in Schattenbilder, die sich auf das Hauptgebäude zubewegten. Der Junge schleppte eine große Tasche, die ihn beim Laufen behinderte, so dass er wie ein Krüppel wirkte. Aber er musste stark sein, denn er hielt mit Veigar Schritt, der ihm keine Hilfe angeboten hatte. Oder der Junge hatte abgelehnt.
    »Ich habe das Gefühl, das könnte heftig werden. Oder noch schlimmer.« Hákon stand mit einiger Anstrengung auf und schnippte die Kippe in die Dunkelheit.
    Aldís starrte auf die geschlossene Tür, durch die Veigar und der Junge ins Haus gegangen waren.
    »Das wird genau wie bei den anderen. Am Anfang jede Menge Ärger und später geben sie dann Ruhe. Am Ende sind sie irgendwie alle gleich«, sagte sie.
    »Glaubst du.«
    »Bist du anderer Meinung?«
    »Es gibt immer Ausnahmen. Zwar werden die meisten Jungen im Lauf der Zeit wie Schlafwandler, wie du sagst, aber eben nicht alle.« Hákon spuckte auf den Kiesboden und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Manche sind schon schlimm, wenn sie kommen, und werden noch schlimmer. Ich habe lange genug hier gearbeitet, um das mitzukriegen. Du kannst froh sein, dass du das noch nicht miterleben musstest. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig.«
    Er grüßte zum Abschied und ließ Aldís alleine zurück. Sie dachte über seine Worte nach und wusste nicht, ob sie Angst davor haben oder sich darauf freuen sollte. Jede Veränderung schien ihr verlockend. Doch tief im Inneren wusste sie, dass das nicht so war.
    In der Nacht wurde sie von dem altbekannten Traum heimgesucht, wachte aber diesmal mittendrin verschwitzt und verängstigt auf. Etwas hatte sich verändert, die starrenden Augen waren bedrohlicher als vorher, und der Kreis, den die Jungen um sie bildeten, war enger. Sie starrte an die Decke und suchte vergeblich nach der Geborgenheit, die der Schlaf ihr geraubt hatte. Sie presste die Augen zu und zwang sich, an etwas anderes zu denken. An Reykjavík und wie sie das Zimmer, das sie mieten wollte, einrichten würde, an den Plattenspieler, den sie kaufen würde, und an die Platten, die sie hören würde. Fast wäre es ihr geglückt, dass ihr Geist in andere Regionen abdriftete. Aldís zwang sich, wieder an den Plattenspieler zu denken, indem sie die Namen der Bands aus ihrer zukünftigen Plattensammlung aufzählte, aber es brachte nichts – sie sah nur den blutbeschmierten Boden in Liljas und Veigars Schlafzimmer und die dunklen Flecken auf dem weißen Laken ihres Ehebetts. Aldís hätte am liebsten laut geschrien. Warum konnte sie das nicht einfach vergessen, wie so viele andere wichtige Dinge auch. Beispielsweise hatte sie sich in der Geschichtsprüfung nicht daran erinnert, in welchem Jahr der Vertrag von Kópavogur unterzeichnet worden war, und hatte das Abitur nicht bestanden. Obwohl sie wirklich versucht hatte, es sich einzubläuen. Vielleicht hätte sie besser versuchen sollen, es zu vergessen. Dann wäre es vielleicht in ihrem Hirn haftengeblieben.
    Aldís wälzte sich auf die rechte Seite und dann sofort wieder auf die linke. Beides war unbequem, und sie drehte sich auf den Rücken. So hatte Lilja gelegen, als sie bei der Geburt gebrüllt und geschrien hatte, und Aldís drehte sich schnell auf den Bauch. Wenn Lilja nicht so laut geschrien hätte, wäre Aldís nicht lauschend vor ihrem Haus stehen geblieben, als Veigar mit dem Bündel auf dem Arm herausgekommen war, genauso weiß im Gesicht wie jener Teil des Lakens, der nicht mit Schleim und Blut beschmiert war.
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