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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Autoren: Irene Zimmermann
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übrigens Bigamist.«
    Frau Stützle nickt zufrieden. »I han glei zu meim Mo gsagt, der hot irgendebbes Uguts.«
    Ich stimme freudig zu. Und dann erweist sich meine Nachbarin als Mensch mit einem großen Herzen, denn sie meint: »Sie kennet etzt au it dr ganze Nochmittag do rumhocke. Wellet Sie it a Weile zu uns nübrkomme? I han an ganz fainer Zopf gmacht.«
    Nicht in meinen kühnsten Alpträumen hätte ich gedacht, dass ich jemals das Haus von Stützles betreten würde, sogar noch mit einem äußerst dankbaren Gefühl, denn meine Blase drückt inzwischen gewaltig.
    »Jo ganget Se no«, meint Frau Stützle und weist mir den Weg. »Vergesset Se abr bloß it, des Schild an dr Tür umzdreha.«
    Ein Schmutzfink ist, wer nicht bedenkt
,
    dass Sauberkeit nur Freude schenkt!
    Ich drehe brav das Schild um, damit jetzt auch jeder in Stützles Großfamilie lesen kann:
    Leider besetzt!
    Danach will ich eigentlich nur noch so schnell wie möglich wieder auf meine Treppe zurück.
    »Hend Sie des Schild au wiedr zrückdreht?«, höre ich Herrn Stützle rufen, als ich mich kurze Zeit später durch den Flur nach draußen schleichen will. Schuldbewusst gehe ich wieder zurück und laufe natürlich Frau Stützle in die Arme.
    Minuten später versinke ich in einer mintgrün-beige gemusterten Couchgarnitur, halte einen Teller mit einem ausgezeichneten Hefezopf in der Hand (da kann man wirklich nichts sagen) und versuche, meine Fluchtmöglichkeiten realistisch einzuschätzen (gleich null). Meine einzige Chance ist: essen, essen, essen. Zur Freude von Frau Stützle greife ich zu (»Des isch etzt schee, dass dr Zopf Ihne so guat schmeckt. Abr mein Streiselkuche letscht Woche war au a Gedicht!«).
    Herr Stützle allerdings wirkt zunehmend missmutiger: »Etzt stopf se doch it so«, brummelt er, »mer will sich doch au amol unterhalte.«
    Ich nicke mit vollem Mund. Sprechen kann ich leider nicht, das verbietet sich von selbst. Aber irgendwann bin ich an dem Punkt angekommen, wo Hefezopf endgültig zu meinem privaten Unwort des Jahres wird. Ich ergebe mich in mein Schicksal und schiebe den Teller beiseite. »Was wollen Sie wissen?«
    Frau Stützle springt auf und schließt das Fenster. »Ma ka gar it vorsichtig gnug sei. In unsrer Stroß han die Wänd Ohre«, flüstert sie bedeutungsvoll.
    Ich nicke. Wie wahr, wie wahr. Was aber dann geschieht, verblüfft mich doch: Anstatt eines verschärften Kreuzverhörs (
Was arbeiten Sie? Welche Partei wählen Sie? Warum hat Ihr Bruder keinen Doktortitel?
– kurzum alle Fragen, die die Welt, also Stützles, bewegen) kramt Herr Stützle ächzend ein kiloschweres Fotoalbum in grünem Leder aus der überdimensionalen Schrankwand.
    Ich entspanne mich. Beim Kommentieren von Familienfotos (Hochzeiten, Taufen, Geburtstage) bin ich nämlich große Klasse. Mein Repertoire umfasst circa achtzehn Formulierungen von »Ach, wie entzückend!«, »Nein, schon so groß!« bis zu »Ganz der Papa / die Mama!«, die abwechselnd an der richtigen Stelle eingeworfen werden. Mein einziger Fauxpas in den ganzen Jahren war ein automatisch platziertes »Ach, wie entzückend!« bei meiner Freundin Nina, was zu einem abrupten Ende unserer Freundschaft führte. Aber wer erwartet auch schon ein Foto des überfahrenen Familienhundes in einem Album?
    »Kuno, holsch ersch no an Schnaps«, weist Frau Stützle an und setzt sich zu mir aufs Sofa, das Album auf den Knien. »Sie werdet ihn brauche.«
    Ich lächle, aber insgeheim fühle ich mich plötzlich gar nicht mehr so locker und rücke gleich mal ein Stückchen zur Seite. Wo allerdings inzwischen Herr Stützle Platz genommen hat, die Schnapsflasche in der Hand. Was erwartet mich nur in dem Album? Nacktfotos womöglich? Vielleicht Frau Stützle in lasziver Pose auf dem Esstisch, während er ...? (Ich höre ihn schon sagen:
Des kennt ma au guat zu dritt mache, hend Sie koi Luscht?
) Mir ist so was von schlecht, und das liegt jetzt bestimmt nicht am Hefezopf.
    »Etzt gucket Sie sich des a, und dann saget Se was dazu«, sagt da Frau Stützle wie aus weiter Ferne. Sie schlägt die erste Seite auf, ich will die Augen schließen, aber dann zwinge ich mich doch hinzuschauen. Am besten bringe ich es so schnell wie möglich hinter mich.

17. Kapitel
    »Abr jetzt sottet Se au koin Schnaps mehr trinke.« Frau Stützle tätschelt mir besorgt die Hand. »So viel vertraget Se au it.«
    Ich kichere hemmungslos. Mit den ersten drei Schnäpsen habe ich mir Mut angetrunken. Die nächsten drei waren die
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