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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
Autoren: Aufbau
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Höllenhund trug. Er war es auch, der die Buntstifte aus meiner Matratze schüttelte.
    Ich landete im Karzer, natürlich erst, nachdem sie mich entsprechend verdroschen hatten. Damals, das werden Sie verstehen, vertrug ich nicht viel. Nach dem zweiten Fausthieb bekreuzigte ich mich und verlor das Bewusstsein. Dass ich mich bekreuzigt hatte, hielt die diensthabenden Riesen wohl vom Totschlag ab, in ihnen mag sich etwas geregt haben. Sie schleppten mich in den isolator und warfen mich auf einen zerrissenen Heusack.
    Als ich zu mir kam, hielt Tante Mascha mich in ihren Armen. Behutsam wischte sie mir mit einem weichen feuchten Lappen das Gesicht und überhäufte das ganze »Bonzenpack« mit hundsgemeinen Ausdrücken.
    »Ihr verdammten Unmenschen … Aasbande … Sklavenseelen …«, schimpfte sie. »Statt gegen die Deutschen kämpft ihr gegen kleine Kinder! Selbst Teufel und böse Geister rühren Kinder nicht an, weil sie Gott fürchten, und ihr? Aus was für Eiern seid ihr gekrochen, was für Vieh hat euch geworfen? Ihr Deserteure, ihr Polypenschnauzen! Dick und fett habt ihr euch gefressen an den gestohlenen Kinderrationen, und jetzt juckt euch das Fell vom Faulenzen … Ein Plakat könnt ihr euch pinseln: ›Nicht Deutsche jagen, Kinder schlagen‹, dann setzt euch drunter und scheißt euch in die Hosen, ihr staatlichen Bluthunde … Und diese Erzieherinnen – puh, verzeih mir’s Gott, diese Nutten, die besteigt ja keiner, da toben sie sich an den armen Würmchen aus. Rotwein sollten sie saufen statt Menschenblut, diese Aufseherflittchen …«
    »Nu mach mal halblang, Kuhfuß. Hast du nicht Angst, dass du mit deinem Geschimpfe auf die Fresse fällst und nicht wieder hochkommst?«, knurrte der alte Aufseher.
    »Du sei mal ganz still, alter Wachhund, du bist doch sämtlichen Natschalniks in den Arsch gekrochen und hast abgesahnt, wo’s nur ging, du ehrloser Halunke, geh lieber in Rente und bete um Vergebung deiner Sünden, die Hundehölle ist dir längst sicher … Angst – ich? Verflucht sollt ihr sein! Wenn einer vor euch Angst hat, zieht ihr ihm gleich das Fell über die Ohren. Ihr selber habt euer Leben lang nur Schiss gehabt und werdet als Sklaven sterben, verdammtes Diebsgesindel … Auf die Fresse fallen – ich? Wie denn? Ich lieg ja schon ganz unten und kuck von unten rauf, und wenn ihr mich verpfeift, sorg ich dafür, dass ihr mit mir ins Lager humpelt; wie mandas macht, habt ihr mir ja beigebracht. Ihr seid ehrlose Gauner und habt auch andre dazu gemacht …«
    »Jetzt reicht’s aber, Mascha, halt’s Maul, ist auch so schwer genug, dein Kleiner erholt sich schon wieder, das härtet ihn ab. Komm zu uns, einen trinken!«, rief Höllenhund flehentlich.
    Tante Mascha brachte mir was zu futtern.
    »Warum ist auf die Tür des Isolators ein blaues Kreuz gemalt, und kein rotes?«, fragte ich sie.
    »Weiß der Teufel … Vielleicht hat der das ja hingemalt. Die rote Farbe ist wohl nicht sein Ding – er glaubt nicht an die sowjetische Religion. Ihr seid ja auch nicht hier, um kuriert zu werden, sondern um blau anzulaufen von all dem, was ihr so durchmacht. Wenn das Kreuz rot wär, müssten sie euch kurieren.«
    Von den Buntstiften träumte ich immer wieder, bis viele Jahre später, schon in Freiheit, meine Matka Bronia, die ihre Strafe für »Spionage« abgesessen hatte, mir in Piter * welche kaufte von den paar Groschen, die sie mit dem Schrubben von Fußböden verdiente.
    Von den sonstigen Leutchen im Heim zu erzählen wäre Zeitverschwendung. Da ist nichts Interessantes im Gedächtnis haftengeblieben.
Das Dampfbad
    Ganz am Rande der Siedlung, auf der anderen Straßenseite, befand sich am Ufer des Irtysch die zweite Hälfte des Kinderheims – die Frauen-, das heißt Mädchenhälfte; die kleinen Feindinnen, Töchter von Feinden undSpionen, waren in einem zweistöckigen Ziegelbau untergebracht. Ein einzelnstehendes Gebäude mit großer Esse beherbergte das Dampfbad, in das wir unter dem Kommando von Krötes Stinktieren einmal in der Woche in Reih und Glied zum Waschen geführt wurden. Wir sahen die kleinen Feindinnen nie im Freien. Sie wurden bei unserem Erscheinen nicht aus dem Haus gelassen. Aber wenn wir, weich gedämpft, die schmutzigen Klamotten unterm Arm, auf dem Rückweg an ihrem Haus vorbeigingen, guckten aus den dunklen Fenstern aller drei Geschosse die neugierigen Augen unserer minderjährigen Leidensgefährtinnen auf uns herab.
Über mich und über Spielzeug
    Jeder von uns kahlgeschorenen
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