Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers
Autoren: Steve Erikson
Vom Netzwerk:
Er trat ein paar Schritte von dem Bettler weg, verharrte dann noch einmal und fügte hinzu: »Ganz nebenbei – du solltest lieber nicht allzu lange vor diesem Tor herumlungern. Das Haus heißt Fremde nicht willkommen.«
    Der alte Mann schien in sich zusammenzusinken. Er drehte den Kopf zur Seite. »Nein«, drang seine Stimme unter seiner zerlumpten Kapuze hervor, »dieses Haus nicht.« Dann kicherte er leise. »Aber ich kenne eins, das es tut …«
    Paran zuckte bei den düsteren Worten des Bettlers die Schultern, drehte sich wieder um und ging davon.
    Hinter ihm begann der Bettler heftig zu husten.
     
    Tippa konnte den Blick nicht von dem Mann abwenden. Er saß vornüber gebeugt auf einem Stuhl, vor dem noch kein Tisch stand, und hatte noch immer ein kleines Stück zerfetzten Stoffs in den Händen, auf das jemand etwas geschrieben hatte. Der Alchemist hatte getan, was in seiner Macht stand, um das Leben in einen größtenteils zerstörten, vertrockneten Körper zurückzubringen, und Baruks Künste waren bis an ihre Grenzen beansprucht worden – daran bestand kein Zweifel.
    Sie wusste natürlich, wer er war. Sie alle wussten es. Und sie wussten auch alle, wo er hergekommen war.
    Er sprach kein Wort. Hatte seit seiner Auferstehung nicht gesprochen. Doch es war keine Missbildung, die ihn dran hinderte, seine Stimme zu finden, darauf hatte Baruk bestanden.
    Der imperiale Historiker war verstummt. Niemand wusste, warum.
    Sie seufzte.
    Die große Eröffnung von K’ruls Kneipe war ein Reinfall. Tische warteten leer und verloren in dem riesigen Schankraum. Paran, Spindel, Blend, Fahrig, Fäustel und Blauperl saßen an dem Tisch, der dem fauchenden Herd am nächsten war, und wechselten kaum ein Wort. Daneben stand der einzige andere besetzte Tisch, und an dem saßen Kruppe, Coll und Murillio.
    Und das war’s. Bei den Göttern, wir sind erledigt. Wir hätten nie auf Fahrig hören dürfen …
    Die Eingangstür schwang auf.
    Tippa blickte hoffnungsvoll hinüber. Doch es war nur Baruk.
    Der Hohe Alchemist zögerte kurz im Vorraum, ging dann langsam weiter, dorthin, wo die anderen Daru saßen.
    »Teuerster Freund des ehrenwerten Kruppe! Baruk, treuester Kämpe von Darujhistan, könnte es an diesem Abend bessere Gesellschaft geben? Hier, ja, an genau diesem Tisch! Kruppe hat gerade seine Gefährten erstaunt – ja, und tatsächlich auch diese grimmigen ehemaligen Soldaten am Nebentisch –, mit seinem außergewöhnlichen Bericht über Kruppe und den Namensvetter dieser Taverne, die sich verschworen haben, um eine neue Welt zu erschaffen.«
    »Ist die Geschichte denn zu Ende?«, fragte Baruk, als er an den Tisch trat.
    »Gerade eben, aber Kruppe wäre höchst erfreut, sie noch – «
    »Hervorragend. Ich glaube, ich werde sie mir ein andermal anhören.« Der Hohe Alchemist warf einen Blick zu Duiker hinüber, doch der imperiale Historiker hatte noch nicht einmal aufgeblickt. Sein Kopf war noch immer gesenkt, sein Blick auf das Stück Stoff in seiner Hand gerichtet. Baruk seufzte. »Tippa, habt ihr Glühwein?«
    »Ja, mein Herr«, sagte sie. »Hinter Euch, neben dem Herd.«
    Fahrig griff nach dem Tonkrug und stand auf, um Baruk einen Becher einzuschenken.
    »Na schön«, sagte Tippa mit lauter Stimme und ging zu ihnen hinüber. »So, das ist es also. Schön. Das Feuer ist warm genug, wir haben genug getrunken, und ich für meinen Teil bin bereit, ein paar Geschichten zu hören – nein, nicht von Euch, Kruppe. Eure haben wir schon gehört. Aber Baruk hier, und vielleicht auch Coll und Murillio könnten vielleicht an der Geschichte von der Eroberung Koralls interessiert sein.«
    Coll beugte sich langsam vor. »Dann wirst du also endlich reden, Tippa? Es wird aber auch höchste Zeit.«
    »Nein, ich nicht«, erwiderte sie. »Zumindest werde ich nicht anfangen. Wie sieht’s aus, Hauptmann? Füllt Euch Euren Becher neu, und erzählt uns eine Geschichte.«
    Paran verzog das Gesicht zu einer Grimasse, schüttelte dann den Kopf. »Ich würde ja gerne, Tippa …«
    »Noch zu frisch«, grummelte Spindel, nickte und wandte sich ab.
    »Beim Atem des Vermummten, was seid ihr nur für ein jämmerlicher Haufen!«
    »Na klar doch«, schnappte Spindel, »eine Geschichte, die uns nur von neuem das Herz bricht! Was für einen Wert soll das haben?«
    Eine raue, brüchige Stimme antwortet. »Aber es hat Wert.«
    Alle verstummten, drehten sich zu Duiker um.
    Der Imperiale Historiker hatte den Kopf gehoben, musterte sie aus dunklen Augen. »Wert.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher