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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers
Autoren: Steve Erikson
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    Die feierliche Prozession bescheidener Gaben – manchmal nichts weiter als ein glatt geschliffener Stein, vorsichtig auf den wachsenden Haufen gelegt, der die Leiche bedeckte – dauerte die ganze Nacht an, und die Sterne zogen ihre große Kreisbahn am Himmel, bis sie schließlich im Licht der Morgendämmerung verblassten.
    Als der malazanische Soldat Itkovians Helm auf den Grabhügel legte, begann eine zweite Welle; Soldat um Soldat stieg den Hang herauf, um dem Mann ein Geschenk zu überlassen. Amulette, Stirnbänder, Ringe, Dolche.
    Und während der ganzen Zeit standen Grantl und Stonny daneben und schauten zu. Genau wie die Grauen Schwerter.
    Als die letzten Soldaten den Hügel verließen, regte sich Grantl. Er starrte den gewaltigen, glitzernden Grabhügel an, sah die schwachen Emanationen von Teilann-Zauberei, die dafür sorgen würden, dass er unversehrt blieb – jeder Gegenstand unbeweglich an seinem Platz –, und griff sich dann mit der linken Hand an den rechten Oberarm. Ein leises Klicken, und die Armreifen rutschten seinen Arm hinunter.
    Tut mir Leid, Treach. Lerne, mit dem Verlust zu leben.
    Wir tun es auch.
     
    Das Zwielicht blieb; es tauchte Korall auch weiterhin in Dämmerung, als die Sonne sich über dem Meer im Osten erhob. Paran stand neben dem Schnellen Ben. Sie hatten die Prozession beobachtet, sich jedoch nicht von ihrem Platz auf der Hügelkuppe weggerührt. Sie hatten zugesehen, wie Dujek sich in die schweigende Kette der Gebenden eingereiht hatte, ein Soldat, der einen anderen ehrte.
    Der Hauptmann fühlte sich durch seine Unfähigkeit, dem Beispiel der Hohefaust zu folgen, herabgesetzt. In seinen Gedanken hatte ihn Elsters Tod so sehr gebrochen, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Er und der Schnelle Ben waren zu spät gekommen, hatten nicht in förmlicher Anerkennung an der Seite der anderen stehen können – Paran hätte niemals gedacht, dass ein so einfaches Ritual in seinem Innern eine solche Bedeutung besaß. Er hatte schon früher an Bestattungen teilgenommen – schon als Kind, in Unta, hatte es ernste Prozessionen gegeben, in denen er zusammen mit seinen Schwestern, seiner Mutter und seinem Vater mitgegangen war, um schließlich in der Nekropole vor einer Krypta zu stehen, wenn der verhüllte Leichnam eines älteren Staatsmanns in die Hände seiner Vorfahren übergeben wurde. Zeremonien, bei denen er die ganze Zeit zappelig gewesen war, denn er hatte keinen Kummer um einen Mann verspürt, dem er nie begegnet war. Beerdigungen waren ihm sinnlos erschienen. Schließlich hatte der Vermummte die Seele längst zu sich geholt. Vor einem leeren Körper zu weinen war ihm immer wie Zeitverschwendung vorgekommen.
    Seine Mutter, sein Vater. Er war bei beiden Beerdigungen nicht dabei gewesen, hatte geglaubt, das Wissen, dass Tavore für eine prächtige Zeremonie und angemessene Ehrerbietung gesorgt hatte, würde ausreichen, um ihn zu trösten.
    Hier hatten die Soldaten die Zeremonie so knapp wie möglich gehalten. Sie hatten einfach Haltung angenommen, hatten reglos dagestanden, jeder allein mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen. Und dennoch miteinander verbunden. Verbunden durch den Kummer, den sie teilten.
    Und er und der Schnelle Ben hatten das verpasst, waren zu spät gekommen. Elsters Leichnam war fort. Und Ganoes Paran war beraubt, sein Herz eine riesige Höhle; es war dunkel, hallte von Gefühlen wider, die er nicht zeigen wollte, nicht zeigen konnte.
    Er und der Magier starrten schweigend zu Mondbrut hinüber, während die fliegende Festung immer weiter ostwärts trieb, hinaus aufs Meer, nun schon gut eine Meile entfernt. Die Festung flog tief, und schon bald – vielleicht in einem Monat – würde sie die Wellen berühren, irgendwo, weit draußen auf dem Ozean, und dann, wenn das Wasser einmal mehr in die Risse und Spalten strömte und die Räume im Innern überflutete, würde Mondbrut versinken. Hinab in das empfindungslose Meer …
    Niemand kam zu ihnen.
    Schließlich drehte der Magier sich zu ihm um. »Hauptmann.«
    »Was ist, Ben?«
    »Mondbrut. Zeichnet die Festung.«
    Paran runzelte die Stirn – und dann stockte ihm der Atem. Er zögerte, kauerte sich schließlich hin, wischte mit der Hand ein Stück Erdboden frei. Mit seinem Zeigefinger ritzte er ein Rechteck mit abgerundeten Ecken in den Boden und darin dann die groben, aber erkennbaren Umrisse von Mondbrut. Er musterte sein Werk einen Augenblick, blickte dann zum Schnellen Ben hoch und
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