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Science Fiction Almanach 1982

Science Fiction Almanach 1982

Titel: Science Fiction Almanach 1982
Autoren: H. J. Alpers
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beneideten! Meinetwegen ertrug sie die fortgesetzten Drangsalierungen eines wunderlichen, alten Oheims, in dessen Hause sie als elternlose Waise leben mußte. Monsieur Scholvius besaß keine Sympathien bei denen, die ihn näher kannten; sein Renommee war nicht tadellos. Ich wußte, daß er mit dem Plane umging, Justina an einen Abenteurer zu verkuppeln, von dessen Einfluß er sich wohl allerlei pekuniäre Vorteile für sein Quincailleriegeschäft versprach, an einen jener französischen Glücksritter, die hier bei Hofe aus- und eingingen. –“
    „À la Ricaut de la Marlinière“, warf Dr. Mathieu dazwischen.
    „Ja – o meine verehrten Herrschaften“, fiel der Erzähler – sich selbst unterbrechend – schnell wieder ein, „wenn Sie ahnen könnten, wie des jungen Magister Lessing Lustspiel hier in manchen Kreisen gezündet hat! Wie bin ich dem Zufall obligiert, der mir durch meinen Verkehr im Hause des Buchhändlers Voß einst die günstige occasion verschaffte, den gefürchteten Kritikus persönlich kennenzulernen! Sein Lustspiel „Minna von Barnhelm“ – mit Chodowieckis Kupfern – empfing ich von ihm selbst mit eigenhändiger Dedikation. –“
    Er zog aus seiner Brieftasche das kleine Buch in Duodezformat hervor, schlug es auf und reichte es dem Herrn Oberlehrer. Dieser las die handschriftliche Eintragung auf der Innenseite des Deckels:
     
    „Mein eigenes Unglück schlug mich nieder, machte mich ärgerlich, kurzsichtig, schüchtern, lässig; ihr Unglück hebt mich empor; ich sehe wieder frei um mich und fühle mich willig und stark, alles für sie zu unternehmen.“
    (5. Aufzug, 2. Auftritt.)
     
    „Möchten Teilheims Worte auch für Sie beide zur Wahrheit werden!“
    Berlin, den 5. März 1766.
    Ihr
    Gotthold Ephraim Lessing.
     
    „Der vortreffliche Mann!“ begann der Erzähler von neuem. „Er kannte meinen Schmerz und meine Sorge, er kannte auch sie, meine Justina! – Doch hören Sie weiter! An jenem Tage, von dem ich erzähle, war Justina von ihren Freundinnen zum Ausfluge nach Tegel invitieret worden. Ach, es war seit fast fünf Monden der erste Augenblick, da ich die Geliebte wiedersehen durfte! – Lassen Sie mich schweigen von diesen seligen Empfindungen! Aber noch jetzt packt mich der Grimm bei dem Gedanken an alles, was sie in diesem Zeitraum erdulden müssen, nicht an leiblicher, aber an seelischer Not! Ich sah unter sothanen Umständen nirgends mehr eine Rettung, als schnelles Handeln. Aus Justinas Munde wußte ich, daß Monsieur Scholvius niemals zu ihrer Verbindung mit mir seine Einwilligung geben wollte. Alle meine Freundinnen und Freunde, die unser Schicksal beklagten und ihre Tränen mit den unseren mischten, waren ratlos! Justina war minorenn und in rechtlicher Gewalt ihres Oheims. Ach, wie gern hätte ich alle Brücken hinter uns zerbrochen und wäre ins Ausland geflohen! Ich besitze – besaß Konnexionen in Wien und London, zufolge meiner Arbeiten – ich habe mich, Kaufmann von Beruf, lange mit der Vervollkommnung der Seidenweberei und -färberei beschäftigt – wie gern hätte ich an einem dieser fremden Orte mein Glück geborgen! Aber Justina wollte nicht heimlich ihr Glück sich stehlen; sie wollte in Ehren hier in Berlin mit mir leben, und sie bat mich abermals, Geduld zu haben. Ich aber wußte aus sicherer Quelle, daß Monsieur Scholvius seit einigen Tagen eifriger als je seinen dunklen Plan verfolgte; vielleicht hatte er ihr nur darum heute Urlaub bewilligt, um sie sicher zu machen! – Und ich hatte am Morgen dieses Tages eine gute geschäftliche Nachricht von meinem Korrespondenten aus Wien empfangen: auf meine Erfindung der verbesserten Seidenfärberei war mir ein kaiserliches Privileg erteilet worden, das mir das alleinige Fabrikationsrecht im Reiche sicherte. – So sagte ich Justina, daß ich am nächsten Tage noch einmal den Versuch machen wolle, ihren Oheim um ihre Hand zu bitten. Sie aber gelobte mir, wenn auch diese letzte Visite erfolglos für uns sein würde, daß sie mit mir gehen wolle, wohin es auch sei. So schieden wir – mit einem Kusse und mit der Hoffnung baldigen Wiedersehens –“
    Er hielt inne und bedeckte die Augen mit der Hand.
    „Vor der Stadt trennten wir uns. Justina fuhr mit den Übrigen nach Hause; ich ging zu Fuß weiter. Und da geschah das Rätselhafte, Unerklärliche –“
    Wieder schwieg er einen Moment. Wir hingen wie gebannt an seinen Lippen.
    „Ich kann selbst nur weniges darüber berichten. Aber soweit meine Erinnerungen
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